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Agilität, Change Management
Agilität – Was macht ein agiles Unternehmen aus? Wie werden wir agil?

Inhaltsverzeichnis

Agilität ist derzeit in aller Munde. Unternehmen und Organisationen fragen sich – was ist dran an diesem Trend? Was ist Agilität überhaupt? Was macht ein agiles Unternehmen aus? Wie werden wir agil?

Agilität: Was macht ein agiles Unternehmen aus? Definition, Hintergründe und Umsetzung

Warum Agilität?

Wie umgehen mit der VUCA-Welt?

Digitalisierung, demographischer Wandel, Globalisierung. – Wir alle merken es: Unsere Welt verändert sich. Sie verändert sich an vielen Stellen gleichzeitig, meist unerwartet und ein Ende dieses permanenten Wandels ist nicht abzusehen.
Das englische Akronym VUCA beschreibt die Herausforderungen, die unsere sich stets verändernde Welt für Unternehmen bereit hält:
Es steht für
  • Volatilität/ Veränderlichkeit
  • Unsicherheit/ Ungewissheit
  • Komplexität
  • Ambiguität/ Mehrdeutigkeit

Entscheidungen in unsicherem Umfeld treffen

Niemand kann mit Sicherheit voraus sagen, wie Märkte, Wettbewerb, Technologien oder weitere Faktoren sich in Zukunft ändern werden. Nur, dass sie sich verändern werden ist gewiss. – Und dass wir als Unternehmen auf Veränderungen werden schnell reagieren müssen, um erfolgreich zu bleiben, können wir jetzt schon absehen. Wie aber können wir uns vorbereiten auf Aufgaben, die wir noch gar nicht kennen? Schlimmer noch – auf Herausforderungen, die wir erst dann erkennen werden, wenn sie bereits eingetreten sind? Eins ist sicher: Die individuelle und kollektive Kompetenz, in unsicherem Umfeld Entscheidungen treffen zu können, ist eine der entscheidenden Kernkompetenzen der Zukunft.

 

Wenn Sie mehr über das Phänomen VUCA erfahren wollen – in unserem Artikel „Change Management in unserer VUCA Welt“ haben wir es detailliert beschrieben.

Was macht Agilität im Unternehmen aus?

 

Die Definition: Agilität – was ist das?

Klassisches Management

Auf gleichbleibende Herausforderungen können wir mit festgelegten Strategien, Strukturen und Prozessen reagieren. Dies ist die Arbeitsweise des klassischen Managements: Die Entwicklungen sind weitestgehend berechenbar, das Management setzt klare Ziele, gibt Strategie, Strukturen und Prozesse top down vor – und die Mitarbeiter setzen um.Vielleicht gibt es noch eine „Bottom-up Feedbackschleife„, doch dann nehmen die Dinge ihren Lauf.

Agiles Management

Um jedoch unbekannte, sich verändernde Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir die Fähigkeit unsere Strategien, Strukturen und Prozesse jeweils kurzfristig an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Dynamik und Stabilität in einem sich verändernden Umfeld so in Balance zu halten, dass der Geschäftsauftrag langfristig erfüllt werden kann, erfordert eine neue Denk- und Arbeitsweise in allen Ebenen des Unternehmens. Dieser Prozess wird nach unserem Verständnis mit dem Begriff der Agilität angemessen beschrieben.

Definition Agilität kurz und knapp

Agilität ist die Fähigkeit Strategien, Strukturen und Prozesse kurzfristig an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen.

Agilität, Change und Flexibilität – die Unterschiede

Agilität ist eine Denk- und Handlungsweise, die sich von Change und Flexibilität unterscheidet:

Unterschied Agilität und Change

Change ist ein Wandlungsprozess hin zu einem definierten Ziel, wohingegen Agilität konstanten Wandel beschreibt, der kein festgelegtes Ziel kennt – hier ist die Umstellungsfähigkeit Kernkompetenz.
Die Professoren Dr. Günter Schnabel und Dr. Kurt Meinel definieren Umstellungsfähigkeit als die Fähigkeit „während des Handlungsvollzugs auf der Grundlage wahrgenommener oder vorauszusehender Situationsveränderungen (…) das Handlungsprogramm den neuen Gegebenheiten anzupassen und (…) durch ein situationsadäquateres zu ersetzen und damit die Handlung auf völlig andere Weise fortzusetzen.“

Unterschied Agilität und Flexibilität

Den Unterschied zur Flexibilität hat Wouter Aghina, McKinsey-Experte für Organisationsdesign in einem Interview sehr schön bildhaft erklärt: Eine starre Einheit – wie zum Beispiel ein Glas ist in einem starren Zustand am besten aufgehoben, denn: ändert sich seine Umgebung schnell – so zerbricht es. Nun könnte man annehmen, dass ein Gegenstand aus flexiblem Material zum Beispiel aus Gummi das Gegenteil eines starren Gegenstandes sei – das sei, so Aghina aber nicht der Fall – denn der flexible Gegenstand kehre immer wieder in seinen Ausgangszustand zurück und verändere sich letztlich nicht. Das Gegenteil von Starrheit sei Agilität – also die Fähigkeit durch Veränderung nicht zu zerbrechen, sondern sogar stärker zu werden, zu lernen, sich zu wandeln.
Dieser Vergleich lässt sich sehr gut auf Unternehmen übertragen, denn ein agiles Unternehmen ist immer auch ein permanent lernendes Unternehmen.

Agiltät, Flexibiltät und Change - die Unterschiede

Agilität in Unternehmen: Der Stand heute

Viele, wenn nicht alle Unternehmen wissen, dass sie mehr Beweglichkeit und schnellere Reaktionen auf Veränderungen brauchen.
Noch dazu deuten Befragungen darauf hin, dass die Produktivität in agilen Unternehmen deutlich steigt. Einer Mc Kinsey Umfrage zufolge berichten Befragte in agilen Einheiten im Vergleich zu Befragten in nichtagilen Einheiten 1,5 mal häufiger von finanzieller Outperformance.
Bisher haben allerdings nur wenige Unternehmen den Wandel hin zu einer agilen Organisation vollzogen. Circa 60 %  haben noch keine Schritte eingeleitet oder haben nur Teilbereiche verändert, meist die Bereiche, die sehr nah am Kunden sind.
Im Projektmanagement sind bereits häufiger agile Strukturen und Handlungsweisen zu finden. In unserem Artikel „Agiles Projektmanagement und agile Führung“ sind wir genauer darauf eingegangen.
Grundsätzlich besteht seitens der Unternehmen großer Bedarf Agilität in ihre Organisationen einzubringen.

 

Was macht ein agiles Unternehmen aus?

Wie weiter oben bereits erwähnt: Agilität ist keine Strategie oder Struktur, sondern eine Denk- und Handlungsweise, das heißt in erster Linie müssen die Menschen im Unternehmen befähigt werden, agil zu denken und zu agieren. Dies erfordert Handlungsspielraum für die einzelnen Mitarbeiter.

 

  1. Flache Hierarchien statt top down

Statt Vorgaben und Kontrollen seitens der Führung, braucht es flache Hierarchien. Die Mitarbeiter sollten genug Befugnisse erhalten, um selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln und Entscheidungen zu treffen, so dass sie in der Lage sind auf Veränderungen schnell reagieren zu können. Müssen Entscheidungen erst durch mehrere Hierarchie- Ebenen gereicht werden, ist die Reaktionszeit womöglich zu lange, das Unternehmen zu behäbig. Durch Eigenverantwortlichkeit wird erreicht, dass die Mitarbeiter mitdenken und sich engagieren, statt Dienst nach Vorschrift zu machen.
Orientiert man sich am Markt und stellt sich das Unternehmen agil auf Kundenwünsche und -bedürfnisse ein, bedeutet dies, dass der Kunde Chef ist. Wenn man diesen Gedanken konsequent weiter denkt, dann verändert das automatisch die Hierarchien; das Unternehmen organisiert sich von außen nach innen.

 

  1. Agile Unternehmensstrukturen

Ziel einer agilen Transformation ist es, hierarchische Strukturen abzubauen, zugunsten einer schlanken, projektorientierten Aufbau- und Ablauforganisation. Wie verschiedene Organe innerhalb eines Köpers handeln die Teams autonom, sind in netzwerkartiger Architektur verbunden und verfolgen das Ziel den Organismus – also das Unternehmen zu erhalten.

 

  1. Agiles Führungsverständnis

Natürlich erfordert dies ein verändertes Führungsverständnis. Statt kontrollierender, Druck machender Vorgesetzter braucht es Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter ermutigen neugierig zu sein und andere als bisher bekannte Wege zu beschreiten. Die Führungskraft in einem agilen Unternehmen unterstützt ihre Mitarbeiter dabei, selbstständig im Sinne des Kunden zu handeln. Sie stellt sich in den Dienst des Teams, statt das Erreichen von Zielvereinbarungen zu kontrollieren.

 

  1. Experimentelle Grundhaltung und Umgang mit Fehlern und Risiken

Wenn man eine Sache das erste mal macht oder wenn man etwas ausprobiert sind Fehler zu erwarten. Sie gehören zu einem Lern- und Entwicklungsprozess dazu. In einer agilen Organisation werden Fehler als Gelegenheit zum Lernen begrüßt. Risiken werden eingegangen, denn der damit verbundene mögliche Fehlschlag ist akzeptabel. So können Mitarbeiter wagen etwas Neues auszuprobieren, nach neuen Lösungen zu suchen. Mit einer solchen experimentellen Grundhaltung  erholen sie sich zudem schneller von Rückschlägen.Wir sprechen hier nicht von „Fehlerfreundlichkeit“, ein absolut fehlleitender Begriff. Wir alle wollen keine Fehler machen. Der Umgang damit sollte sich nur radikal ändern.

Lesen Sie hierzu auch unseren Artikel Fehlerkultur vor Fehlermanagement! Wie Ihr Unternehmen aus Fehlern lernt!

  1. Transparenz

Um den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben schnell zu reagieren und neue Lösungswege zu finden, ist es nötig ihnen sämtliche relevanten Informationen zugänglich zu machen. In einer Umfrage gaben 90 % aller Befragten aus agilen Unternehmen an, dass ihre Mitarbeiter Zugang zu sämtlichen Informationen haben(„Pull-Prinzip“)- vom Kunden bis zu den Finanzen. Ein permanentes aktives Bereitstellen von Informationen („Push-Prinzip“), sorgt eher für einen Informations-Overflow, den viele Unternehmen beklagen.

Agiltät und Vertrauenskultur

 

  1. Dialog/ Feedback

Ein agiles Unternehmen ist ein dauerhaft lernendes Unternehmen. Um sicherzustellen, dass jeder aus seinen Erfolgen und Fehlern lernen kann, sind in agilen Organisationen Dialog und Feedback in alle Richtungen grundlegend. Der Umgang mit Fehlern und Kritik sollte für Kritikgebende und -nehmende konstruktiv sein.

 

 

  1. Externer Austausch

Um sich abzeichnende Trends, Kundenwünsche und andere Informationen, die die Basis für Veränderungen sein können rechtzeitig mitzubekommen, ist eine Vernetzung des Unternehmens in alle Richtungen wichtig. Das Unternehmen fördert, dass seine Mitarbeiter Kontakte zu Kunden, zu Lieferanten und zu Stakeholdern pflegen und im Dialog bleiben.Unerlässlich hierfür ist es, interne Regularien, Reportings und Meetings sehr kritisch zu hinterfragen. Anderenfalls bleibt diese Herangehensweise aus Zeitmangel ein frommer Wunsch.

 

  1. Diversity

Ist die Belegschaft heterogen zusammengesetzt, so lassen sich kreativere Ideen und Lösungen finden, als es ein Team von Leuten mit dem selben Mindset könnte. Eine durchmischte Mitarbeiterschaft bildet unterschiedliche Lebenswelten und Sichtweisen besser ab.

 

Agilität braucht diversity

 

  1. Zukunftsbilder

Da sich in unserer VUCA-Welt die Dinge schnell ändern können, ist es nicht sinnvoll sich auf einen einzigen Zukunftsentwurf festzulegen. Nichts desto trotz ist es wichtig Entwicklungsmöglichkeiten zu analysieren verschiedene Zukunftsszenarien zu durchdenken und Pläne zu entwickeln.

 

  1. Konzentrieren auf eigene Stärken

Sich auf fachliche Kompetenzen, Alleinstellungsmerkmale, Werte und Unternehmenskultur und den Umgang mit absolvierten Krisen zu besinnen stärkt das Unternehmen und macht Mut Veränderungen als Chancen wahrzunehmen.

 

  1. Unscharfe Ziele

Da sich die kommenden Umstände und Gegebenheiten nicht voraussagen lassen, können sich auch Ziele nicht klar formulieren lassen. Agile Unternehmen arbeiten mit unscharfen Zielbildern, die an die tatsächlich eintretende Situation angepasst wird.Statt strategische Ziele in Bezug auf den prozentualen Marktanteil im Jahr 2020 zu definieren, was nichts anderes als Kaffeesatz-Leserei ist, können Markteroberungs-Szenarien für die nächsten 12 Monate entwickelt werden.

 

Video Wie gestalten wir eine agile Unternehmenskultur

Oliver Grätsch vom berliner team erklärt in 2:30 min, welche Ansätze die wichtigsten sind, um eine nachhaltige Grundlage für den Kulturwandel im Unternehmen zu schaffen.

 

Agilität und agile Organisationsentwicklung: Das Tutorial

Trend-Begriff Agilität

In fast jeder Anfrage, in fast jedem Erstgespräch, das wir führen, taucht früher oder später die Frage auf: „Wie werden wir agil ?“. Wir wollen weg vom Mode-Begriff Agilität: Einfach so agil werden zu wollen klingt zwar nett, wird aber nicht funktionieren. Es genügt nicht, einen Scrum Master einzuführen oder mit Design Thinking zu arbeiten. Dies kann zwar durchaus Sinn ergeben – und macht sicher auch Spaß – aber das alleine sorgt nicht dafür, dass eine Organisation sich agil nennen kann. Agile Methoden einzuführen, ohne die entsprechende Kultur, wird in der Regel von Mitarbeitern, zu Recht, als die berühmte „neue Sau“ beschrieben, die auf ausgetretenen Pfaden „durchs Dorf“ getrieben wird.
Will sich ein Unternehmen auf den Weg machen agil zu werden, dann bedeutet dies zunächst, verstehen zu wollen:
  • Wo stehen wir heute in Bezug auf Agilität?
  • Wozu wollen wir eigentlich agil werden.
  • Was ist der Sinn?
Denn um hier eine Strategie zu entwickeln, müssen wir wissen, wo wir anfangen und was uns antreibt.

 

Tutorial Schritt 1: Wie agil sind wir?

Um den eigenen Standort definieren zu können, schlagen wir zwei Perspektiven zur Orientierung vor:
  1. Flexible, dynamische Faktoren
  2. Steuernde, stabilisierende Faktoren

 

Diese Werte können wir uns auf einer x/y- Achse vorstellen:
Agilität: Wie werden wir agil?

Agil sein: Die Balance zwischen Stabilität und Flexibilität finden

Um Agilität zu entwickeln, sollten wir analysieren, wie unser Unternehmen in Sachen Flexibilität und Stabilität aufgestellt ist.
Beide Elemente sind wichtig; überwiegt eines stark, so bringt dies ein Unternehmen langfristig in Schwierigkeiten:
  • Steuerung und Stabilität allein lassen eine Organisation bürokratisch werden;
  • hat ein Unternehmen jedoch nur flexible und kaum stabilisierende Elemente, dann bricht schnell das Chaos aus.
Die Balance zwischen diesen beiden Polen zu gewährleisten, ist die große Herausforderung auf dem Weg zu einer agilen Organisation. Dies ist auf keinen Fall zu verwechseln mit dem sogenannten „Mittelweg“. Auf Basis der genauen Analyse beider Faktoren lassen sich Handlungs-Schwerpunkte definieren, hier können wir starten. Es gibt also kein fertiges Kochrezept, die Zutaten sind jedoch bekannt.
Zuerst braucht es die Analyse, das Verstehen, dass es um eine aktiv herzustellende Balance geht und nicht einfach um Veränderung des Prinzips Agilität willen. Und diese Balance zwischen Standbein und Spielbein herzustellen, ausgehend von der jetzigen Situation – das ist der entscheidende Schritt auf dem Weg zu einer agilen Organisationen.

Aufgaben auf dem Weg zum agilen Unternehmen

In klassischen Unternehmen geht es häufig darum, die stabilisierenden Elemente (z.B. „Reportingsysteme“) anzupassen, weiterzuentwickeln und die dynamischen (z.B. „flache Hierarchien“) zu entwickeln, zuzulassen.
In Start-Ups, die wir häufig in ihrer Entwicklung begleiten, geht es eher um das Bewahren der dynamischen Elemente, die Kultur-prägend sind bei gleichzeitiger Entwicklung von stabilisierenden Elementen (z.B. „Standards, die Effizienz fördern“).
Diese Unterscheidung ist natürlich recht holzschnittartig, mag aber eine erste Orientierung geben.

 

Wie finden wir heraus, wo wir in Sachen Agilität stehen?

Beide Perspektiven, Dynamik/Flexibilität und Steuerung/Stabilität beinhalten jeweils diverse Unterpunkte – also verschiedene Bereiche anhand derer sich die Ist-Situation im Unternehmen detailliert analysieren lässt.

Im Bereich steuernde und stabilisierende Elemente sind die wesentlichen Unterpunkte folgende:

  1. Gemeinsame Werte und Vision
  2. Unterstützende, unternehmerische Führung auf Augenhöhe
  3. Standards, die Effizienz fördern
  4. Mess- und zuordenbare Leistung (nach Personen und Bereichen)
  5. Klarheit über Entscheidungswege, Verantwortlichkeiten und Befugnisse der jeweiligen Einheit
  6. Auswahl innovativer Mitarbeiter

Im Bereich Flexibilität und Dynamik gibt es diese Bereiche:

  1. Strukturen/ Rollen
  2. Transparente Kommunikation
  3. Möglichkeiten finden und probieren
  4. Flache Hierarchien und Selbstverantwortung
  5. Freier Zugang zu Tools und Systemen
  6. Lebenslanges Lernen
  7. Netzwerke und Partnerschaften
  8. Schnelles Testen neuer Ideen (80%/MVPs)
  9. Arbeitsumfeld („New Work“)
Auf einige dieser Unterpunkte wollen wir im Folgenden beispielhaft eingehen.

 

Steuerung und Stabilisierung

Die steuernden und stabilisierenden Elemente stehen der Agilität keineswegs zwangsläufig im Wege.
Im Gegenteil: Stabilität ist das Rückgrat der Organisation. Das heißt: der Anspruch möglichst schnell flexibel und agil zu werden und dabei der Basis die Stabilität zu rauben, kann natürlich nicht Ziel einer Unternehmensentwicklung sein. Die steuernden oder stabilisierenden Elemente sind weiterzuentwickeln, den neuen Gegebenheiten anzupassen – aber nicht weg zu lassen!
Fragen Sie sich:
In wie weit gibt es in unserem Unternehmen steuernde und stabilisierende Elemente?
Steuernde oder stabilisierende Elemente sind zum Beispiel:
  • Haben wir eine gemeinsame Vision? Welche ist das?
  • Gibt es gemeinsame und geteilte Werte? Welche sind das?
  • Hat unser Unternehmen Standards, die Effizienz fördern?
  • Führt die Führung so, dass sie unternehmerisch – also unterstützend ist?
    Oder ist die Führung eher Controller und verlangt Reportings von den Mitarbeitern?
  • Herrscht Klarheit über Entscheidungswege, Verantwortlichkeiten und Befugnisse der jeweiligen Einheit?
Wir werfen mal einen Blick darauf, was einzelne steuernde Elemente im Hinblick auf Agilität bedeuten können.

Effizienz fördernde Standards

Jedes Unternehmen braucht Standards, die Leistung und Effizienz fördern.
Fragen Sie sich:
Werden sie bei uns gelebt und sorgen sie dafür, dass wir auf dem Weg zur Erfüllung unseres Geschäfts-Auftrages gut unterwegs sind?
Oder sind sie eher hinderlich?
Unternehmen, die die steuernden und oder stabilisierenden Faktoren übertreiben oder zu heftig ausleben – also bürokratische Organisationen – steuern in Richtung Stillstand und liegen früher oder später brach.

Effizienz-hemmende Standards

Ein Beispiel für Effizienz-hemmende Standards habe ich gerade persönlich erlebt:
Vor acht Wochen war meine EC-Karte beschädigt und ich bat deshalb um eine neue Karte. Bei meiner Bank ist zudem als Standard eingepflegt – und das wohl unabänderlich – dass ich alle drei Jahre eine neue EC-Karte erhalte. Gerade war es soweit: Obwohl ich bereits vor acht Wochen eine neue Karte erhalten habe, erhielt ich jetzt schon wieder eine neue EC-Karte – ein völlig unnötiger Vorgang. Standards nicht beweglich zu halten, sondern als unabänderliche Gesetze im Unternehmen zu fördern und zuzulassen, heißt Stillstand zu unterstützen. Das ist der beste Weg hin zu einer bürokratischen Organisation. Überprüfen Sie, welche Standards sinnvoll sind (steigern Effizienz) oder notwendig (gesetzliche Rahmenbedingungen) und welche eher „über die Jahre gewachsen sind“ und nur noch sinnlose Tätigkeiten nach sich ziehen.

 

Wenn Stabilität zu Bürokratie wird:
Von Bürokratie zur Agilität

 

Unterstützende, unternehmerische Führung

In vielen Unternehmen erleben wir die Führung eher als kontrollierend. Es gibt so genannte Reporting Lines, das heißt die Führung prüft, ob die Mitarbeiter ihre Arbeit ordentlich erledigen. Der Gegenentwurf hierzu ist eine unterstützende Führung, die den Mitarbeitern hilft, ihre Arbeit so gut wie möglich zu machen, die Ressourcen und Informationen zur Verfügung stellt und eventuelle Hindernisse aus dem Weg räumt.
Hier kann es darum gehen, in der Entwicklung zu einer agilen Organisationen aus Reporting Lines so genannte Supporting Lines zu machen. Dies ist häufig ein radikaler Eingriff in die Unternehmenskultur – mit Widerstand ist zu rechnen. Um so wichtiger ist es hier, Sinn und Zweck der Veränderung deutlich zu machen.
Um es kurz zu fassen:
Bei den steuernden Elementen geht es im ersten Schritt darum, zu schauen in wie weit die stabilisierenden Bereiche geschäftsfördernd und unterstützend sind – und wo sie möglicherweise Starrheit erzeugen.

 

Flexibilität

Die zweite Achse, die flexible oder auch dynamische Achse beschäftigt sich eher mit Elementen, die dafür Sorge tragen, dass Experimentierfreude, Entrepreneurship und flexibles Rollen- und Teamverhalten in der Organisationen möglich sind. Weniger als Selbstzweck, sondern vielmehr als schlichte Notwendigkeit, um im sich schnell verändernden Umfeld zu überleben.
Auch hier wollen wir anhand einiger Beispiele näher auf die flexiblen Elemente eingehen:

Strukturen und Rollen

Starre Organigramme widersprechen im Wesentlichen solchen Strukturen und Rollen, die für Beweglichkeit sorgen.
Fragen, die Sie sich in Bezug auf Ihre Strukturen stellen sollten:
  • Gibt es Teams, die nur in ihrer Abteilung oder in Ihrem Team arbeiten?
  • Oder besteht die Möglichkeit/Notwendigkeit für abteilungs-übergreifende Projekte?
  • Ist es möglich Mitarbeiter, zumindest zeitweilig auch in einer Parallel-Organisation zu integrieren?
  • Also sind Rollen und Strukturen fluide und beweglich oder sind sie starr?
Hier geht es darum, eine Organisationsform zu finden, die den Menschen Beweglichkeit ermöglicht und die das Unternehmen für Mitarbeiter attraktiv macht. Ein zwanghaftes „Ab jetzt arbeiten wir im Schwarm“ sorgt im Unternehmen nur für Stirnrunzeln oder aber auch Erheiterung.

Schnelles Testen neuer Ideen

Neue Ideen zu entwickeln und sie ohne große Umstände schnell ausprobieren zu können, ist essentiell für Agilität. Insofern prüfen Sie, ob dies in Ihrem Unternehmen vielleicht schon so gehandhabt wird. Fragen Sie sich:
  • Gibt es bereits eine Kultur des schnellen Testens?
  • Sind neue Ideen überhaupt zulässig?
  • In wie weit können wir unternehmensintern neue Ideen vorstellen ohne dass sie perfekt ausgearbeitet sind?
  • Oder muss sogar im internen Miteinander eine perfekte PowerPoint präsentiert werden?
Ideen, die perfekt ausgearbeitet sein müssen, verschwinden schnell wieder. Eine Idee ist kein Konzept, geschweige denn ein Plan. Wozu auch? Hier ist die Frage – inwieweit es schon möglich ist auch mal 80 % Lösungen – so genannte mvp (minimum viable products) – anzubieten. Dies ist die Vorstufe zu etwas, das man eine Betaversion nennt.

Ein Beispiel für agilen Umgang mit neuen Ideen

Wenn ich meinem Team präsentieren möchte, wie eine App aussehen könnte, die wir gerade entwickeln, dann programmiere ich nur die Oberfläche. Auf diese Weise bekommen die Zuschauenden eine Idee, wie das Produkt aussehen könnte. Dafür stelle ich zunächst nur eine Skizze vor, hole mir Feedback und arbeite dann daran weiter.
In unserem kleinen Unternehmen zum Beispiel gibt es ein „Verbot“, Ideen, die zunächst nur intern vorgestellt werden, auf PowerPoint zu präsentieren. Mein Gott, was war das früher für ein Aufwand, kennen Sie das?

 

Ideenpräsentation im Start Up:
Ideenpräsentation im Startup

 

Lebenslanges Lernen

Flexibel zu werden und zu bleiben, ist ohne lebenslanges Lernen nicht möglich. Die äußeren Umstände ändern sich schnell; das kann bedeuten, dass der Job, den wir heute machen, in ein paar Jahren ganz anders aussieht oder sogar von einer Maschinen besser erledigt werden kann. Der Mitarbeiter als Mensch aber bleibt wichtig. Wenn wir uns weiterbilden und weiterentwickeln, können wir uns Veränderungen anpassen und im Unternehmen sinnvoll unterstützen.
Fragen Sie sich:
  • Wie sehr unterstützt mein Unternehmen die Mitarbeiter dabei zu lernen?
  • Wie gehen wir mit Fehlern um?
  • Wie ist die Haltung der Mitarbeiter zum Thema Weiterbildung und Lernen?
  • Was müssen wir lernen, um fit für eine noch unbekannte Zukunft zu sein?

Freier Zugang zu Tools und Systemen

Sollen neue Ideen entwickelt werden, so ist es unerlässlich, dass Informationen leicht und schnell zugänglich sind, Entscheidungen schnell getroffen werden können. Antragsbewilligungsprozesse sind oft so furchtbar, wie das Wort selbst. Langes Suchen von Informationen und Ressourcen hindern die Mitarbeiter daran schnell und leicht Ideen zu entwickeln. Prüfen Sie in Ihrem Unternehmen:
  • Haben unsere Mitarbeiter freien Zugang zu Tools und Systemen?
  • Sind relevante Informationen jederzeit für alle einsehbar?
  • Wie viele Ebenen sind bei wichtigen Entscheidungen zu befragen?

Den Geist für Flexibilität schärfen

Beleuchten und analysieren Sie die Faktoren, die Flexibilität ausmachen:
  • Inwieweit sind wir da schon gut unterwegs?
  • Zeichnet sich unsere Kultur schon durch diese Faktoren aus?
  • Oder sind uns solche Begrifflichkeiten völlig fremd?
  • Welche Widerstände müssen wir überwinden?
In vielen klassischen Unternehmen geht es darum, den Geist dafür zu schärfen, dass flexible Faktoren das Unternehmen nicht nur langfristig erfolgreicher, sondern zuerst erst einmal schneller machen. – Und Schnelligkeit ist eine der Grundlagen für Agilität:

 

Agil zu werden heißt, in einer Welt, die sich rasant verändert, entsprechend schnell entscheiden und handeln zu können. Und es bedeutet auch, sich schnelles Scheitern zu gestatten, um dann einen anderen, neuen, möglicherweise erfolgreichen Weg zu wählen.
Gleichzeitig gilt es die stabilisierenden Elemente, die das Rückgrat eines Unternehmens bilden zu bewahren, respektive weiterzuentwickeln.

 

Tutorial Schritt 2: Agilität – auf die eigenen Stärken konzentrieren:

Wenn Sie analysiert haben, wo Ihr Unternehmen Bereich der Steuerung und Stabilisierung momentan steht, dann ist der erste Schritt in Richtung Agilität zu überlegen: „Was davon sollten wir bewahren?“ Diese Kernelemente sind das, was gut funktioniert, also so etwas wie die DNA Ihres Unternehmens; sie zeichnen Ihr Unternehmen aus. Und nicht nur das: Wenn ein Unternehmen agil und beweglich sein möchte, dann braucht es die stabilen Elemente, so wie ein Sportler sein Rückgrat.
Es gilt aber auch zu entscheiden: „Wo müssen wir alte Zöpfe abschneiden?“ – Denn es gibt sicher einiges, dass nicht mehr zeitgemäß ist und Beweglichkeit verhindert. Dieses Maß zwischen „Was brauchen wir; was zeichnet uns aus?“ und „Was bremst uns?“ muss gefunden werden, denn man kann nicht alles neu erfinden. Das ist entscheidend. – Konzentrieren Sie sich auf die Stärken Ihrer Organisation!
Deshalb: Weg von der Mode Agilität. Es muss nicht alles agil sein! Nein: Stabilisierende Elemente müssen bleiben, denn was die Unternehmens-DNA auszeichnet muss Bestand haben. Die stabilisierenden und steuernden Elemente müssen angepasst, aber nicht weggelassen werden.

 

Tutorial Schritt 3:  Agilität umsetzen heißt zulassen

Wenn Sie die Stärken Ihres Unternehmens identifiziert haben, dann gilt es sich auf die flexibilisierenden und dynamischen Elemente zu konzentrieren: Diese müssen entweder mehr gefördert werden oder auch erst einmal als zulässig betrachtet werden. Das ist manchmal gar nicht so einfach: Spricht man in klassischen Unternehmen zum Beispiel das Thema flache Hierarchien an, dann heißt es oft erst mal: „Was denn? Wollen wir jetzt die Bosse hier abschaffen? – Das haut doch nicht hin.“ Und auch hier muss man individuell mit Augenmaß agieren, um herauszufinden: Was genau braucht dieses Unternehmen? Wie viel oder auch wie wenig Hierarchie ist hier nötig? Und diese Gedanken, diese Möglichkeit der Neuorientierung erst einmal vorurteilsfrei und openminded zuzulassen, ist eine Herausforderung aus der eine neue Kultur entstehen kann.

 

Stabilität oder Flexibilität – was ist wichtiger?

Unserer Erfahrung nach lässt sich sagen, dass weder Stabilität noch Flexibilität der Königsweg im Wandel hin zu einer agilen Organisation ist.
Entscheidend ist immer, wo das Unternehmen gerade steht:
Je klassischer ein Unternehmen, desto mehr scheinen die steuernden Elemente zentraler Bestandteil der DNA zu sein. Hier braucht es einen Blick dafür, wo die Steuerung bremst.
Je jünger ein Unternehmen, desto größer ist der Bedarf diese Stabilität und Steuerung überhaupt erst einmal einzuführen. Denn oft gibt es in jungen Unternehmen so etwas wie Strukturen oder Regelkommunikation noch gar nicht und man scheut das Thema stabilisierende Elemente wie der Teufel das Weihwasser. Und dieser Mangel an Stabilität ist häufig der Grund, weshalb so manche junge Unternehmung innerhalb von zwei, drei Jahren den Bach herunter geht.
Erst nachdem Sie sich Ihre Organisation im Hinblick auf die oben genannten Punkte genau angeschaut haben und ihren Startpunkt kennen, können Sie die nächsten Schritte hin zur Agilität beschreiten. Wie das aussehen kann, darüber schreiben wir in unserem Artikel Agile Transformation in 22 Schritten: Definition, Grundlagen & Tutorial

 

 

Interessante Links zum Thema Agilität:

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Die Autorinnen

berliner team - Kassandra Knebel
Kassandra Knebel
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Susanne Grätsch
Berliner Team