Wie du psychologische Sicherheit in deinem Unternehmen etablierst und was Forschung & Wissenschaft dazu sagen.
Inhalt
- Psychologische Sicherheit: Die Grundlagen
- Psychologische Sicherheit aus wissenschaftlicher Perspektive
- Tutorial: Psychologische Sicherheit in der Unternehmens-Praxis
1. Psychologische Sicherheit: Die Grundlagen
Stell dir vor du bist Führungskraft und schlenderst in die Kaffeeküche. Deine Mitarbeitenden beenden ihr Gespräch sobald sie dich sehen, kurze dann Stille und fachsimpeln alle plötzlich ausweichend übers Wetter. Oder: du hörst im Treppenhaus zufällig mit wie Mitarbeitende prophezeien, dass das aktuelle Projekt aufgrund von Fehlern gegen die Wand fahren wird, aber niemand äußert diese Befürchtungen dir gegenüber.
Solche Situationen sind keine Seltenheit. Sie passieren, wenn Mitarbeitende sich unsicher fühlen – wenn sie Angst haben, dass kritische Äußerungen oder Fehler negative Konsequenzen haben könnten oder dass ihre Meinung schlichtweg nicht zählt. Das Ergebnis: Stillstand. Fehlender Austausch. Und ein Team, das weit hinter seinem Potenzial zurückbleibt.
Hier kommt die psychologische Sicherheit ins Spiel – ein Konzept, das nicht nur die Dynamik eines Teams verändert, sondern ganze Unternehmen transformieren kann.
Wenn psychologische Unsicherheit den Ton angibt
Ruth, 46, ist Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen. Ihr Alltag? Nun, sagen wir, es könnte besser laufen:
In einem Meeting mit ihrem Team bringt Ruth eine neue Herangehensweise für die Kundengewinnung zur Sprache. „Ich denke, wir könnten mehr Erfolg haben, wenn wir unseren Fokus stärker auf kleinere Unternehmen legen“, schlägt sie vor.
Stille. Einige betrachten interessiert ihre Fingernägel.
Es folgt eine zaghaft gehauchte Antwort von Julia aus dem Marketing: „Vielleicht sollten wir erst noch abwarten, wie sich die letzten Maßnahmen entwickeln?“ Ruth kennt dieses Muster nur zu gut: Eine vorsichtige, unverbindliche Bemerkung, die das Thema im Keim erstickt. Niemand widerspricht, niemand greift die Idee auf. Nach dem Meeting bleibt Ruth bei Julia stehen. „Sag mal, wie fandest du meinen Vorschlag wirklich?“ Julia zuckt die Schultern. „Grundsätzlich ist das schon einen Versuch wert, aber ich dachte, das könnte auch schiefgehen und ich wollte nicht diejenige sein, die sich da aus dem Fenster lehnt.“
Für Ruth ist das ein Augenöffner: Ihre Mitarbeitenden halten sich zurück – nicht, weil sie keine Meinungen haben, sondern weil sie negative Reaktionen fürchten. Ruth ahnt, dass dieses Verhalten nicht nur die Zusammenarbeit blockiert, sondern auch den Erfolg des Unternehmens langfristig ausbremst.

1.1. Warum psychologische Sicherheit so wichtig ist
Die aktuelle Situation: Unternehmen sind unter Druck
Wir kriegen es alle mit: Der Druck auf Unternehmen und Mitarbeitende steigt stetig an. Gründe dafür gibt es zuhauf:
Unsere Welt verändert sich immer schneller (VUCA), globale Herausforderungen, gesellschaftliche Verwerfungen und Fachkräftemangel sorgen für Stress; Krankheitstage nehmen zu, Stress, Burnout, Depression grassieren. Führungskräfte fühlen sich häufig überfordert; Mitarbeitende reagieren gereizt. Eine Studie der Unternehmensberatung Willis Tower Watson unter mehr als 22.347 Mitarbeitenden aus zwölf Ländern belegt, was uns allen ohnehin schon lange klar ist: Mitarbeitende mit hohem Stressniveau sind weniger produktiv und weisen höhere Fehlzeiten auf als solche, die nicht unter überhöhtem Druck arbeiten.
Wie also lässt sich Druck rausnehmen und ein Gefühl von Sicherheit etablieren? Und mehr als das: was kannst du als Führungskraft tun, damit die Menschen in deinem Team mit den Herausforderungen der VUCA-Welt bestmöglich umgehen können?
Resilienz versus psychologische Sicherheit
Resilienz ist das, was an vielen Stellen ein Ausweg zu sein scheint. So wird gern gepredigt: „Werde resilienter, um den Anforderungen des Alltags gerecht zu werden und Zufriedenheit zu erlangen!“ Und ja – Resilienz ist eine gute Basis, um gesund, zufrieden und leistungsfähig im Leben zu stehen. Aber wenn es darum geht, als Führungskraft, Managerin oder Teamleiter ein Team erfolgreich zu führen ist es nicht damit getan den Mitarbeitenden anzuraten sich resilient aufzustellen. Vielmehr solltest du einen Rahmen anbieten, der es den Mitarbeitenden leicht macht, sich einzubringen und Ideen zu generieren, wie sie gemeinsam mit Herausforderungen umgehen können. Und hier greift das Konzept der psychologischen Sicherheit.
Zudem bildet psychologische Sicherheit die Grundlage für ein gedeihliches Miteinander im Team. Während Resilienz eher eine Strategie ist, um mit Druck und Herausforderungen umzugehen, geht psychologische Sicherheit einen Schritt weiter: Sie sorgt dafür, dass dieser Druck gar nicht erst entsteht. Menschen müssen nicht in die Defensive gehen, weil sie wissen, dass sie ohne Angst vor negativen Konsequenzen handeln können. Wenn Resilienz und psychologische Sicherheit zusammenkommen, entsteht ein Arbeitsumfeld, in dem Menschen nicht nur mit Herausforderungen umgehen – sondern diese aktiv angehen. Das ist der Schlüssel zu einem gesunden, motivierten und leistungsfähigen Team.

Was passiert, wenn psychologische Sicherheit fehlt?
Wie wir anhand der Beispiele bereits gesehen haben leiden viele Unternehmen unter einer unsichtbaren Angstkultur. Diese zeigt sich nicht in lautem Streit, sondern in dem, was nicht passiert: Ideen werden nicht geteilt, weil niemand sich traut, einen ungewöhnlichen Vorschlag zu machen. Probleme werden nicht angesprochen und Fehler werden vertuscht, statt sie als Lernchance zu nutzen. Feedback findet nicht statt und wenn, dann wird es als bedrohliche Kritik aufgefasst.
Was passiert, wenn psychologische Sicherheit da ist?
Psychologische Sicherheit verändert das.
- Teams kommunizieren offener und ehrlicher.
- Risiken werden gemeinsam getragen.
- Fehler führen zu Entwicklung.
- Feedback ist Alltag, weil niemand Angst vor Kritik hat.
- Innovation
wird zur Normalität.
Vorteile für Teams und Organisationen:
Und natürlich hat diese veränderte Art des Umganges Auswirkung auf die Performance der Mitarbeitenden und der Teams.
- Verbesserte Teamleistung, weil viele Perspektiven einfließen können.
- Gesteigerte Innovationsfähigkeit, weil ausprobieren erlaubt ist.
- Stärkere Bindung, weil sich alle einbringen können.
- Reduzierte Fluktuation, weil positive Unternehmenskultur spürbare Realität im Alltag ist und Bindungskraft hat
Ruth hat genug. Sie weiß, dass sich in ihrem Team etwas ändern muss. Nach einem Austausch mit einer befreundeten Führungskraft hört sie zum ersten Mal vom Konzept psychologischer Sicherheit. Der Begriff weckt ihre Neugier – und ihre Hoffnung. Als sie das Konzept genauer versteht, beginnt sie zu erkennen, was in ihrem Team fehlt: Vertrauen.
Ruth will es anpacken. Doch wie? Erstmal besorgt sich Ruth die theoretischen Grundlagen:

1.2. Was ist psychologische Sicherheit?
Definition psychologische Sicherheit
Psychologische Sicherheit beschreibt den Zustand in einem Arbeitsumfeld, in dem sich Mitarbeitende sicher fühlen, Meinungen und Ideen zu äußern, Fehler zuzugeben und Risiken einzugehen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen; also die Basis für offene, vertrauensvolle und kreative Zusammenarbeit.
Beschreibung psychologische Sicherheit
Harvard-Professorin Amy Edmondson, Pionierin auf diesem Gebiet, beschreibt psychologische Sicherheit als „die Überzeugung, dass man im Team Risiken eingehen kann, ohne dafür bestraft oder bloßgestellt zu werden.“ Sie betont, dass es nicht um eine konfliktfreie Kuschel-Atmosphäre geht, sondern um die Fähigkeit, Meinungsverschiedenheiten konstruktiv auszutragen und Fehler als Lernchance zu begreifen. In der Praxis heißt das, dass ihr euch im vollen Vertrauen auf wohlwollende, konstruktive Reaktionen eurer Mitarbeitenden verletzlich zeigt, also euch über Misserfolge, Zweifel und Unsicherheiten austauschen könnt. Immer mit dem Ziel, gemeinsam die beste Lösung zu finden. Auf Professor Edmonsons Studien und weitere wissenschaftliche Erkenntnisse gehen wir gleich ein.
Das Konzept der psychologischen Sicherheit beschreibt zum einen die Merkmale einer offenen und unterstützenden Unternehmenskultur, aber auch das positive Empfinden, das Menschen in einem solchen Umfeld erleben.
Die Folgen psychologischer Sicherheit
Folgen davon sind günstige Formen der wertschätzenden Kommunikation und die Offenheit, eigene Fehlleistungen und Schwächen einzugestehen. Oft wird dann von einem „guten Klima“ oder einer „Kultur des Vertrauens“ gesprochen, in der lebendiger Austausch und eine positive Fehlerkultur erlebt werden. Das heißt in der Praxis: ihr dürft Fehler machen, weil sie von allen als Teil von Lern- und Entwicklungsprozessen gesehen werden. Ihr könnt verschiedene Perspektiven einbringen und auch Bedenken frei äußern. Und wenn es Konflikte gibt, dann kehrt ihr sie nicht unter den Teppich, sondern besprecht konstruktiv, worum es euch geht und löst den Konflikt. Immer mit dem Leitgedanken im selben Team zu spielen.

Was bedeutet psychologische Sicherheit für dich?
Wenn du dich fragst, wie es um die psychologische Sicherheit in deinem Team steht, sind hier ein paar Fragen, die du dir stellen kannst:
- Trauen sich deine Mitarbeitenden Fehler offen zuzugeben?
- Werden Ideen diskutiert, auch wenn sie ungewöhnlich oder unpopulär sind?
- Gibt es eine konstruktive Streitkultur – oder herrscht eher Schweigen?
- Gebt ihr regelmäßig Feedback?
- Werden auch Schwachpunkte und Fehler der Führungskräfte angesprochen, ohne dass dies kritische Konsequenzen hat?
Psychologische Sicherheit beginnt damit, diese Fragen ehrlich zu beantworten – und die ersten Schritte zu machen, um eine Veränderung anzustoßen.
Und Ruth? Sie hat angefangen, sich solche Fragen zu stellen. Die Antworten sind oft unbequem – aber genau das ist der erste Schritt in Richtung eines besseren Miteinanders. Jetzt wo sie sich mit dem Thema befasst schaut sie genau hin, was im Alltag ihres Unternehmens so vor sich geht. Und sie befasst sich mit den wissenschaftlichen Hintergründen der psychologischen Sicherheit.
Video zu psychologischer Sicherheit
Kurze Lese-Pause machen?
Und Christian zuhören, was er zu psychologischer Sicherheit zu sagen hat? 15:51 Minuten.
2. Psychologische Sicherheit aus wissenschaftlicher Perspektive
Wer hat den Ausdruck „psychologische Sicherheit“ geprägt?
Amy Edmondson, Professorin an der Harvard Business School, führte 1999 eine bahnbrechende Studie durch, die das Konzept der psychologischen Sicherheit erstmals wissenschaftlich untermauerte.
Amy Edmondsons Studie: Meilenstein für psychologische Sicherheit in Teams
Edmondsons Untersuchung zielte darauf ab, herauszufinden, warum einige Teams erfolgreicher sind als andere. Sie stellte fest, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit eine 12 % höhere Erfolgswahrscheinlichkeit haben. Der Grund – du ahnst es schon: Sie sind eher bereit, Risiken einzugehen, Fehler zuzugeben und Hilfe zu suchen – Schlüsselverhalten für Wachstum und Innovation.
Die Studie belegt, dass psychologische Sicherheit:
- Fehlerkultur stärkt: Teams nutzen Fehler als Lernchance statt als Schuldzuweisungs-Grund.
- Feedbackprozesse verbessert: Mitarbeitende trauen sich, konstruktive Kritik zu äußern und anzunehmen.
- Lernintensität erhöht: Teams mit psychologischer Sicherheit lernen schneller und erzielen dadurch bessere Ergebnisse.
Bedeutung für moderne Organisationen
Edmondsons Arbeit hat die Sicht auf Leadership grundlegend verändert. Sie betont die entscheidende Rolle von Führungskräften, die durch aktives Coaching und Unterstützung eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen. Teams, die sich sicher fühlen, sind nicht nur effizienter, sondern auch kreativer und belastbarer – Eigenschaften, die in der dynamischen Arbeitswelt von heute unverzichtbar sind.
Ihre Erkenntnisse machen klar: Psychologische Sicherheit ist kein Nice-to-have, sondern ein zentraler Erfolgsfaktor für Teams und Unternehmen gleichermaßen.
Ruth beeindruckt besonders die Rolle der Führungskräfte. Sie freut sich, dass es Dinge gibt, die sie als Führungskraft in Gang bringen kann. Als sie wieder mit ihrer befreundeten Führungskraft spricht, rät diese ihr zunächst einmal ihr eigenes Führungsverhalten genau unter die Lupe zu nehmen:

Wie du als Führungskraft den Rahmen für psychologische Sicherheit setzt
Bevor du dich fragst, wie dein Team psychologische Sicherheit erreichen kann, lohnt es sich, einen Blick auf dich selbst zu werfen. Denn als Führungskraft hast du einen enormen Einfluss darauf, wie sicher sich deine Mitarbeitenden fühlen. Du setzt den Rahmen. Du bestimmst, ob Menschen den Mut haben, den Mund aufzumachen oder ob sie lieber schweigen.
Eine gute Reflexion startet mit den richtigen Fragen:
- Welche Möglichkeiten biete ich meinem Team, sich wirklich einzubringen?
- Wie reagiere ich, wenn jemand Fehler zugibt? Höre ich zu – oder fälle ich Urteile?
- Gibt es in meinem Team unsichtbare Regeln, die Offenheit und Ehrlichkeit bremsen?
- Welche Verhaltensweisen fördere ich – und welche verhindere ich vielleicht unbewusst?
- Wie gehe ich selbst mit eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten um?
Oft sind es nicht die großen Ansagen, sondern die kleinen, wiederkehrenden Signale, die den Unterschied machen. Ein Beispiel: Wenn du als Führungskraft aktiv zu Feedback aufforderst, aufmerksam zuhörst und Ideen nicht direkt bewertest, gibst du deinem Team das Gefühl, dass ihre Beiträge willkommen sind.
Eigenes Führungsverhalten reflektieren
Ruth stellt verdrossen fest, dass sie in Sachen psychologische Sicherheit auch nicht immer vorbildlich gehandelt hat. Letztens hat Julia ihr erzählt, dass sie etwas anders gemacht hat als sonst um schneller reagieren zu können. Leider hat das nicht geklappt. Ruth hat ziemlich angespannt reagiert und wollte das nur schnell vom Tisch haben. Welches Problem Julia lösen wollte und warum sie sich dafür entschieden hat so zu handeln, hat Ruth sie nicht gefragt. Sie spürt, dass es in ihrem Team die ungeschriebene Regel gibt sich keine Blöße zu geben; denn wer einen Misserfolg landet braucht für Spott und Tratsch nicht zu sorgen. Weder sie selbst oder andere Führungskräfte noch die Mitarbeitenden gehen wohlwollend mit Misserfolgen um.
Ruth fragt sich, wie sie konkret gegen so etwas angehen kann. Wie entwickelt sich psychologische Sicherheit innerhalb eines Teams?

Die vier Stufen der psychologischen Sicherheit nach Timothy R. Clark
Psychologische Sicherheit passiert nicht über Nacht – das hat Timothy R. Clark in seinem Modell der vier Stufen eindrucksvoll beschrieben. Während Amy Edmondson zeigt, wie wichtig psychologische Sicherheit für den Erfolg von Teams ist, erklärt Clark, wie sie entsteht. Gute Nachrichten: Du kannst die Entwicklung psychologischer Sicherheit aktiv steuern!
Psychologische Sicherheit variiert
Timothy R. Clark beschreibt in seinem Buch „Psychologische Sicherheit: Die vier Stufen zu Inklusion und Innovation“, dass ein psychologisches Sicherheitsgefühl nicht immer gleich stark ausgeprägt ist, sondern von der aktuellen Situation, der Teamdynamik und auch von der eigenen inneren Verfassung abhängt. Mal fühlen sich Menschen sicher, offen zu sprechen, mal nicht. Entscheidend ist, dass sich diese Sicherheit entwickeln kann – wenn der Rahmen dafür stimmt.
Das heißt: statt auf einmal das große Sicherheitsgefühl im Team zu erwarten, geht es um eine stete Entwicklung in klaren Stufen. Diese Stufen bauen aufeinander auf und sorgen Schritt für Schritt dafür, dass dein Team sich sicher fühlt, sich einbringt, Neues ausprobiert und sogar den Status quo hinterfragt.
Übersicht: die vier Stufen der psychologischen Sicherheit
- Inklusions-Sicherheit – „Ich gehöre dazu.“
- Beitrags-Sicherheit – „Ich darf mitmachen.“
- Lern-Sicherheit – „Ich darf Fehler machen und daraus lernen.“
- Herausforderer-Sicherheit – „Ich darf Dinge hinterfragen und Neues anstoßen.“
Jede dieser Stufen braucht deine Aufmerksamkeit als Führungskraft. Du bist die rahmengebende Person, die dafür sorgt, dass dein Team von dabei sein zu voll mitmachen kommt. Wie das geht? Schauen wir uns die Stufen im Detail an:

Die vier Stufen der psychologischen Sicherheit
1. Inklusions-Sicherheit: Gehören alle, gehöre ich wirklich dazu?
Die erste Stufe der psychologischen Sicherheit ist die Inklusions-Sicherheit. Hier geht es darum, dass sich alle Teammitglieder als Teil des Teams fühlen – unabhängig von Position, Alter, Erfahrung, Herkunft oder Persönlichkeit. Das klingt einfach, ist aber oft schwieriger, als man denkt.
Woran du erkennst, dass Inklusions-Sicherheit fehlt:
- Manche Teammitglieder sind in Meetings auffällig still.
- Neue Kolleginnen und Kollegen brauchen lange, bis sie das Gefühl haben, angekommen zu sein.
- Es bilden sich kleine Grüppchen im Team, die ihre Themen unter sich klären.
Was du als Führungskraft tun kannst:
- Begrüße neue Teammitglieder aktiv und sorge dafür, dass sie schnell mitreden dürfen.
- Starte Meetings mit einer offenen Runde: „Wie geht’s euch heute?“
- Nimm kleine Anzeichen von Ausgrenzung ernst – auch den Flurfunk.
- Rege insbesondere ruhigere Kolleginnen an, sich mitzuteilen.
- Befasse dich aktiv mit den Themen Diversity & Inklusion!
Inklusions-Sicherheit im Alltag:
Ruth bemerkt, dass die neue Kollegin Lara nach drei Wochen immer noch keine einzige Frage in den Meetings gestellt hat. „Ich habe mich noch nicht so richtig reingefunden“, sagt Lara auf Nachfrage. Ruth setzt daraufhin wöchentliche Check-ins ein, bei denen alle Teammitglieder kurz ihre Themen der Woche vorstellen. Nach zwei Wochen bringt Lara die erste Idee ein.

2. Beitrags-Sicherheit: Kann ich mitmachen statt mitzulaufen?
Wer dabei ist, will auch mitmachen. Die zweite Stufe, die Beitrags-Sicherheit, sorgt dafür, dass sich dein Team nicht nur dabei fühlt, sondern wirklich mitgestalten kann. Menschen möchten nicht nur Teil des Ganzen sein – sie wollen das Gefühl haben, etwas beizutragen.
Woran du erkennst, dass Beitrags-Sicherheit fehlt:
- Teammitglieder führen Aufgaben aus, aber ohne Engagement oder Eigeninitiative.
- Kreative Beiträge kommen immer von den gleichen Personen – andere bleiben stumm.
- Aufgaben, die sichtbare Resultate erzeugen, werden beständig von Gleichen übernommen – andernfalls bleiben sie bei der Führungskraft hängen.
- Entscheidungen werden hingenommen, ohne dass jemand seine Meinung äußert.
Was du als Führungskraft tun kannst:
- Stelle in Meetings direkte Fragen wie: „Was denkst du dazu, Anna?“
- Schaffe Raum für Beiträge, zum Beispiel durch eine Runde der Stimmen vor Entscheidungen.
- Lobe Beiträge sichtbar – auch wenn sie nicht perfekt sind.
- Revidiere oder ändere spürbar Deine Beiträge, wenn es dazu einen guten Grund gibt.
Beitrags-Sicherheit im Alltag:
Ruth wundert sich, dass sich Julia, eine ihrer erfahrensten Mitarbeitenden zum aktuellen Projekt bedeckt hält. Ruth spricht sie darauf an. „Ich will mich nicht einmischen, wenn es sowieso schon beschlossen ist.“ Ruth ändert daraufhin die Struktur der Meetings: Erst werden Vorschläge gesammelt, dann diskutiert – und erst am Ende wird entschieden. Dennoch: wie gewöhnlich äußern sich die üblichen Verdächtigen recht dominant und dann gerät das Brainstorming ins Stocken. Ruth muss zunächst drauf beharren, dass noch mehr Vorschläge und Ideen eingebracht werden. Das klappt und auch Julia nimmt teil und bringt wichtige Gedanken ein.

3. Lern-Sicherheit: Darf ich hier Fehler machen?
Lern-Sicherheit ist die dritte Stufe – und eine der herausforderndsten. Hier geht es darum, ob dein Team das Gefühl hat, dass es möglich ist ohne Gesichtsverlust Fehler zuzugeben, Fragen zu stellen und um Hilfe zu bitten. Nur wenn das möglich ist, kann sich dein Team weiterentwickeln.
Woran du erkennst, dass Lern-Sicherheit fehlt:
- Fehler werden vertuscht oder erst dann gemeldet, wenn es nicht mehr anders geht.
- Teammitglieder wirken unsicher, wenn sie Fragen stellen.
- Es gibt eine „Wer hat Schuld?“-Mentalität, wenn etwas schiefgeht.
Was du als Führungskraft tun kannst:
- Gib selbst Fehler zu und zeige, was du daraus gelernt hast.
- Schaffe eine Fehler-Kultur, in der Fragen wie „Was lernen wir daraus?“ normal sind.
- Vermeide Schuldzuweisungen – richte deinen Fokus auf Lösungen, nicht auf Probleme.
Lern-Sicherheit im Alltag:
Sebastian, macht bei einer Kundenbestellung einen Fehler, der die Lieferung um eine Woche verzögert. Er versucht, das Problem heimlich zu lösen, was alles noch schlimmer macht. Ruth erkennt, dass die Schuldfrage ihn erdrückt. Also führt sie eine neue Routine ein: Einmal pro Monat diskutiert das Team offen über den Fehler des Monats – mit Fokus auf die Learnings. Beim zweiten Treffen meldet sich Sebastian freiwillig und erzählt von der Sache mit der Bestellung. Der Mut sich zu zeigen bringt ihm Respekt ein. Andere geben ähnliche Fehler zu. Die Stimmung ist gelöst.

4. Herausforderer-Sicherheit: Darf ich hier auch kritisch sein?
Die vierte Stufe, die Herausforderer-Sicherheit, ist die Königsdisziplin. Sie beschreibt den Zustand, in dem dein Team den Status quo hinterfragt und mutige Vorschläge macht, um Dinge zu verbessern. Menschen, die den Status quo in Frage stellen, stoßen oft auf Widerstand – deshalb ist diese Stufe so schwer zu erreichen.
Woran du erkennst, dass Herausforderer-Sicherheit fehlt:
- „Das haben wir schon immer so gemacht“ wird als Argument akzeptiert.
- Kritische Stimmen verstummen schnell – vor allem, wenn die Führungskraft im Raum ist.
- Innovationsprojekte verlaufen im Sand, weil niemand den ersten Schritt wagt.
Was du als Führungskraft tun kannst:
- Fördere kritische Fragen und stelle selbst die Frage: „Was wäre, wenn…?“
- Gib deinem Team explizit die Aufgabe, Dinge zu hinterfragen.
- Belohne Mut, auch wenn der Vorschlag am Ende nicht umgesetzt wird.
- Rege an, eine Person den „Advocatus Diaboli“ spielen zu lassen oder tue das selbst.
Herausforderer-Sicherheit im Alltag:
Ruth realisiert, dass viele ihrer Entscheidungen kaum infrage gestellt werden. „Niemand widerspricht mir, aber das kann ja wohl kaum bedeuten, dass ich immer Recht habe.“ Also führt sie die Rolle des Challengers der Woche ein: Eine Person pro Woche hat die Aufgabe, mindestens eine bestehende Arbeitsweise zu hinterfragen. Die Reaktion ist anfangs zurückhaltend, aber nach ein paar Wochen kommen immer mutigere Vorschläge – und einige davon werden tatsächlich umgesetzt.
Die vier Stufen der psychologischen Sicherheit in deinem Unternehmen
Und du? Welche der vier Stufen hat dein Team schon erreicht – und welche Schritte könntest du als nächstes gehen? Vielleicht ist es Zeit, die Herausforderer-Sicherheit zu stärken und deinem Team zu signalisieren: „Hier darf hinterfragt werden – und das ist gut so.“

Psychologische Sicherheit und Werte in Team und Organisation
Tools und Meeting-Formate helfen uns langsam psychologische Sicherheit zu etablieren. Aber: Im Hintergrund, auf der Meta-Ebene steuern Kräfte unser Handeln, derer wir uns vielleicht nicht immer bewusst sind: Werte.
Werte sind der unsichtbare Kompass, der das Verhalten in deinem Team lenkt. Sie bestimmen, was in einem Team akzeptiert wird und was nicht. Genau hier liegt ein wichtiger Schlüssel zur psychologischen Sicherheit: Werte wie Vertrauen, Respekt, Offenheit und Verantwortungsbewusstsein schaffen den Rahmen, in dem Mitarbeitende sich trauen, ihre Meinungen und Ideen offen zu teilen.
Doch Vorsicht: Es reicht nicht, diese Werte als schöne Begriffe an die Wand zu hängen. Sie müssen sichtbar gelebt werden – von der Führungsebene bis zur Praktikantin. Wenn du als Führungskraft Vertrauen predigst, aber jeden Vorschlag lieber erst selbst prüfen und genehmigen willst, wird dein Team nicht darauf hereinfallen. Authentizität ist hier das A und O.
Welche Werte fördern psychologische Sicherheit?
- Vertrauen: Ohne Vertrauen keine Offenheit. Es zeigt sich, wenn Mitarbeitende wissen, dass ihre Fehler sie nicht ins Aus befördern.
- Respekt: Wenn Meinungen gehört und nicht abgewertet werden, entsteht ein Raum für ehrliche Diskussionen.
- Offenheit: Offenheit bedeutet, dass auch unbequeme Wahrheiten ausgesprochen werden dürfen – ohne Angst vor Konsequenzen.
- Verantwortungsbewusstsein: Wenn sich Mitarbeitende verantwortlich fühlen, ergreifen sie die Initiative, statt passiv zuzusehen.
Diese Werte entstehen nicht von selbst. Sie werden durch Vorbilder im Unternehmen – sprich: die Führungskräfte – geformt.

Werte im Unternehmens- Alltag
„Offenheit und Respekt sind uns wichtig“ steht zwar auf den Folien der Onboarding- Präsentation, aber das wirkt ein bisschen wie Werbe-Blabla. Ruth fragt ihr Team: „Welche Verhaltensweisen zeigen eigentlich, dass wir Respekt leben? Wie erkennt man bei uns, dass Offenheit gewollt ist?“. Ratlose Blicke. Sie setzt anders an: „In einem idealen Unternehmen – wie würden wir respektvoll miteinander umgehen? Wie würde sich Offenheit zeigen?“ Langsam kommen ein paar Ideen zusammen. „Erstmal zuhören und ausreden lassen,“ ist eine davon. Ruth beschließt, die Werte nicht nur zu besprechen, sondern mit konkreten Verhaltensregeln zu verankern.

Wollt Ihr eine Kultur der Psychologischen Sicherheit im Team oder im Unternehmen gemeinsam angehen? Wir helfen gern 🙂
Die Werte in deinem Unternehmen
Und du? Welche Werte werden in deinem Team gerade gelebt – und welche werden nur gepredigt? Vielleicht ist es an der Zeit, mit deinem Team darüber zu sprechen. Wenn du dazu Rat oder Tat brauchst, hier zwei Hinweise in eigener Sache:
Rat: Zum Thema Werte haben wir das Buch Erfolgsfaktor Unternehmenskultur heraus gebracht. Dort findest du viele Informationen zum Thema Werte und Wertewandel.
Tat: Du willst Dir gerne mal eine Übersicht verschaffen, welche Werte in deinem Unternehmen vorherrschen? Dann kannst du ganz einfach und bequem unsere App ausprobieren – und erstmal testweise herausfinden, welche Werte dich selbst motivieren. Und später kannst du die App in deinem ganzen Unternehmen zum Einsatz bringen.
Und ansonsten: ruf einfach an oder mail uns! >>

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Weitere Studien zur Relevanz von psychologischer Sicherheit
Die Studie von Baer und Frese: Wie psychologische Sicherheit Innovation fördert
In ihrer Publikation Innovation is not enough (2003) und der dazugehörigen Studie zeigen Baer und Frese, dass Innovation und Unternehmensleistung zwar nicht direkt steuerbar sind – aber die Voraussetzungen dafür schon. Zwei zentrale Faktoren spielen dabei eine Schlüsselrolle: psychologische Sicherheit und Eigeninitiative.
Die wichtigsten Ergebnisse:
- Unternehmen, die psychologische Sicherheit fördern, steigern langfristig ihre Rendite.
- Teams, die Initiative zeigen und offen Neues ausprobieren, erreichen häufiger ihre Unternehmensziele.
Der Kern der Studie: Auch hier – wenn Mitarbeitende sich sicher fühlen, auch mal Fehler zu machen – steigt die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Innovation braucht genau dieses Klima, in dem Risiken keine Bedrohung sind, sondern Chancen. Auch Baer und Frese zeigen damit, dass psychologische Sicherheit die Basis für unternehmerischen Erfolg ist und sich nicht nur sprichwörtlich auszahlt.
Project Aristotle: Warum psychologische Sicherheit DER Erfolgsfaktor ist
Googles Project Aristotle ist eine der bekanntesten Studien zum Thema Team-Performance. Ziel der Studie war es, herauszufinden, warum einige Teams besser zusammenarbeiten als andere.
Die Erkenntnis:
Psychologische Sicherheit war DER wichtigste Faktor für den Teamerfolg – wichtiger als Intelligenz, Fachwissen oder persönliche Sympathien. Die Studie betonte, dass die Fähigkeit, Fragen zu stellen, Fehler einzugestehen und Schwächen zu offenbaren, für den Erfolg dieser Teams entscheidend war.
Metaanalyse von M. Lance Frazier: Wie psychologische Sicherheit Teams leistungsfähiger macht
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Metaanalyse von M. Lance Frazier et al. (2017). Auch hier wurde belegt, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit nicht nur effizienter arbeiten, sondern auch kreativer und innovationsfreudiger agieren.
Die Ergebnisse:
Die Teammitglieder trauen sich eher, neue Ideen einzubringen und Risiken einzugehen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Das stärkt die Zusammenarbeit, fördert den Wissensaustausch und erhöht die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Kurz gesagt: Psychologische Sicherheit macht Teams mutiger, schneller und smarter.
Du siehst: das Thema psychologische Sicherheit ist gut erforscht und die Studienlage ist recht eindeutig.

3. Psychologische Sicherheit in der Praxis:
3.1. Was wir von Google lernen können
Was hat Google getan?
Google hat konkrete Maßnahmen ergriffen, um psychologische Sicherheit in den Teams zu verankern:
- Retrospektiven: Teams reflektieren gemeinsam, was gut läuft und wo es hakt – ohne Schuldzuweisungen.
- Offene Kommunikationsforen: Plattformen, auf denen Mitarbeitende anonym Feedback zu Prozessen, Führung und Unternehmenskultur geben können; z.B. wöchentliche Team-Health-Checks, in denen anonymes Feedback zur aktuellen Arbeitssituation gegeben wird.
- Trainings für Führungskräfte: Google trainiert Führungskräfte darin, offenes Feedback zu fördern und eine Kultur der Offenheit zu schaffen.
Anonymes Feedback im Alltag
Ruth ist beeindruckt, als sie von Googles Project Aristotle erfährt. Anonyme Feedbackrunden – das klingt nach einer guten Idee. Sie setzt eine Umfrage auf. Die Fragen sind einfach: „Wie sicher fühlst du dich, deine Meinung zu äußern?“ und „Was würde dir helfen, dich sicherer zu fühlen?“
Die Antworten sind ernüchternd. Einige Kolleginnen geben an, dass sie manchmal das Gefühl haben, ihre Meinung sei „nicht relevant“. Andere wünschen sich, dass „man sich auch mal irren darf, ohne dass das gleich ein Drama wird“. Ruth erkennt, dass die psychologische Sicherheit in ihrem Team schwächer ist, als sie dachte. Sie bleibt beim Mittel der anonymen Befragung: Alle zwei Wochen füllt das Team eine kurze, anonyme Umfrage aus. Ruth teilt die Ergebnisse offen mit dem Team und fragt: „Was können wir konkret tun, um diese Punkte zu verbessern?“

3 Tipps, was du von Google übernehmen kannst
Du musst kein Tech-Gigant sein, um diese Ansätze umzusetzen. Hier sind einige einfache Maßnahmen, die du ab morgen in deinem Team starten kannst:
- Anonyme Team-Checks: Lass dein Team anonym Feedback geben – zum Beispiel mit Tools wie Slido oder Mentimeter.
- Retrospektiven einführen: Plane am Ende eines Projekts eine Rückschau, bei der jede Person zwei Fragen beantwortet: 1. Was lief gut? 2. Was sollten wir beim nächsten Mal ändern?
- Transparenz stärken: Teile Entscheidungen und den Entscheidungsprozess offen mit deinem Team. Lass sie verstehen, warum Entscheidungen so und nicht anders getroffen wurden.
Video zum Thema Feedback
Kleiner Exkurs zum Thema Feedback gefällig? Susanne erzählt, wie konstruktives Feedback funktioniert. 4:36 Minuten.
3.2. Die 7 Gegenspieler der psychologischen Sicherheit im Alltag
Psychologische Sicherheit ist kein Selbstläufer. Sie steht ständig unter Beschuss – von unsichtbaren Gegenspielern, die das Miteinander im Team erschweren. Diese Gegenspieler sind nicht immer offensichtlich, aber ihre Wirkung ist deutlich spürbar: Unsicherheit, Schweigen und eine Kultur, in der Mitarbeitende nur noch Dienst nach Vorschrift machen.
Zu den bekanntesten Gegenspielern zählen Angst vor Fehlern, Micromanagement, fehlende Anerkennung und unklare Erwartungen. Und weil diese Gegenspieler so tückisch sind und uns allen immer wieder begegnen, lohnt es sich, sie genauer anzusehen.
Wenn die Gegenspieler der psychologischen Sicherheit zuschlagen
Auch in Ruths Unternehmen treiben die Gegenspieler ihr Unwesen, auch wenn sie inzwischen schon einige Maßnahmen ergriffen hat.
Es ist Montagmorgen, 9:02 Uhr.
Das Team-Meeting hat gerade begonnen. Ruth steht am Flipchart und fragt: „Okay, wer hat Ideen, wie wir die Kundenanfragen schneller bearbeiten können?“
Stille. Wiedermal.
Alle starren auf den Bildschirm oder auf ihre Notizen. Ruth klatscht auffordernd in die Hände: „Kommt, Leute!“, dann meldet sich Sebastian: „Vielleicht könnten wir die Bearbeitung standardisieren… aber ich weiß nicht, ob das praktikabel ist.“ Er blickt unsicher zu Julia, die die Augenbrauen hochzieht, als würde sie sagen wollen: „Das wird nie funktionieren.“
Sebastian zieht sich zurück.Ruth merkt, dass hier gerade einer der typischen Gegenspieler aktiv ist.

1. Angst und Einschüchterung
Wie das aussieht:
Wenn Teammitglieder Angst vor Fehlern oder Kritik haben, äußern sie lieber gar keine Meinung. Sie vermeiden es, Risiken einzugehen, und bleiben in ihrer Komfortzone.
Angst und Einschüchterung im Unternehmens-Alltag:
Sebastian hatte eine Idee – und das ist gut. Aber schon beim ersten skeptischen Blick von Julia zieht er sich zurück. Der unsichtbare Mechanismus: Angst vor Ablehnung. Statt die Idee zu verteidigen, rudert er zurück, um bloß nicht falsch zu liegen. Dieses Verhalten lähmt das Team.
Wie psychologische Sicherheit schaffen?
Ruth kann den Fokus weg von richtig oder falsch hin zu „Was lernen wir daraus?“ verschieben. Eine Methode: Aktives Nachfragen. „Sebastian, erzähl mal, wie genau könnte das funktionieren? Was bräuchten wir dafür?“ So gibt sie ihm Raum, seine Idee weiter auszuführen – und zeigt, dass er keine perfekte Antwort parat haben muss.

2. Micromanagement
Wie das aussieht:
Wenn Führungskräfte jede Entscheidung absegnen und jede Aufgabe kontrollieren, fühlen sich Mitarbeitende entmündigt. Das senkt die Motivation und schürt Unsicherheit.
Micromanagement im Unternehmens-Alltag:
Ein paar Tage später steht Ruth mit Anna, ihrer Projektmitarbeiterin, im Büro. Anna: „Ich habe den Entwurf fertig, soll ich dir den nochmal zeigen, bevor ich ihn abschicke?“ Ruth: „Hast du alles gecheckt? Sind alle Zahlen korrekt?“ Anna nickt, wirkt aber unsicher. „Dann schick ihn raus“, sagt Ruth, aber Anna wartet noch – als ob sie auf eine zweite Bestätigung hofft.
Hier hat Ruth – vielleicht unbewusst – Micromanagement betrieben. Ihre Rückfrage „Hast du alles gecheckt?“ sendet die Botschaft, dass sie Annas Arbeit erst noch kontrollieren muss. Das untergräbt das Vertrauen.
Wie psychologische Sicherheit schaffen?
Statt Kontrolle zu signalisieren, kann Ruth auf Vertrauen setzen. „Anna, ich weiß, dass du das im Griff hast – schick es gerne direkt raus.“ Alternativ könnte sie die Verantwortung klarer abgeben: „Das ist dein Thema – du entscheidest, wann es fertig ist.“ Das stärkt Annas Selbstvertrauen.

3. Fehlende Transparenz
Wie das aussieht:
Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen getroffen, ohne dass das Team weiß, warum etwas entschieden wurde. Das führt zu Frust und Misstrauen.
Fehlende Transparenz im Unternehmens-Alltag:
Ruth hat ein Gespräch mit einem externen IT- Fachmann. Sie findet dessen Angebot gut und freut sich, dass die neue Lösung günstig und sofort einsetzbar ist. Also entscheidet sie am Freitag, dass das Team ab nächster Woche eine neue Software nutzen soll – ohne das vorher zu kommunizieren. Am Montag fragt Sebastian: „Warum machen wir das überhaupt? Was war denn an der alten Software falsch?“ Julia mischt sich ein: „Wurde das überhaupt mit uns abgestimmt?“ Die Stimmung ist angespannt.
Wie psychologische Sicherheit schaffen?
Transparenz bedeutet, den Entscheidungsprozess sichtbar zu machen. Wenn eine neue Software eingeführt wird, kann Ruth das frühzeitig ankündigen und erklären, warum sie sich dafür entschieden hat. Noch besser: Das Team in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Das könnte so aussehen: „Wir überlegen, eine neue Software einzuführen, über die bisherige haben wir uns lang genug geärgert. Ich habe endlich die Mittel dafür im Budget. Welche Anforderungen habt ihr an eine gute Lösung?“

4. Unklare Erwartungen
Wie das aussieht:
Wenn Mitarbeitende nicht genau wissen, was von ihnen erwartet wird, entsteht Verwirrung. Das sorgt für Unsicherheit und schränkt die Eigeninitiative ein.
Unklare Erwartungen im Unternehmens-Alltag:
Julia soll eine Präsentation für den Kunden vorbereiten. „Mach eine knackige Präsentation für den Termin nächste Woche“, sagt Ruth. Eine Woche später sieht Ruth die Präsentation und ist enttäuscht. „Ich dachte, wir wollten mehr Grafiken reinbringen.“ Julia ist frustriert: „Das hättest du mir auch vorher sagen können.“
Wie psychologische Sicherheit schaffen?
Unklare Anweisungen sind der ideale Nährboden für Missverständnisse. Ruth sollte ihre Erwartungen konkret machen: „Die Präsentation sollte max. 10 Folien haben, klar gegliedert, und möglichst viele visuelle Elemente enthalten.“ So weiß Julia genau, worauf sie achten soll.

5. Fehlende Anerkennung
Wie das aussieht:
Wenn Leistungen nicht gesehen oder gewürdigt werden, sinkt die Motivation. Menschen haben das Bedürfnis, dass ihre Arbeit geschätzt wird.
Fehlende Anerkennung im Unternehmens-Alltag:
Sebastian hat die Quartalszahlen viel früher als geplant fertiggestellt. Er ist stolz, dass er so ein Tempo vorgelegt hat und die Zeit noch für anderes nutzen kann. Ruth sieht die Mail, denkt „Super, erledigt“ – und geht zum nächsten Punkt auf ihrer To-do-Liste. Sebastian hört nichts von ihr. Zwei Tage später fragt er Ruth: „Hast du die Zahlen gesehen?“ – „Ja, alles in Ordnung“, sagt Ruth. Doch Sebastian ist enttäuscht: „Na toll, da hätte ich ja auch gemütlich machen können. Schönen Dank.“
Wie psychologische Sicherheit schaffen?
Lob und Anerkennung kosten nichts, haben aber eine riesige Wirkung. Es muss nicht immer der große Applaus sein – oft reicht ein kurzes „Danke, dass du das so schnell gemacht hast“. Kleine Gesten zeigen den Mitarbeitenden: Meine Arbeit wird gesehen, ich leiste einen Beitrag zu unserem Erfolg.

6. Schlechte Kommunikation
Wie das aussieht:
Unklare Anweisungen, Informationslücken und Missverständnisse führen zu Unsicherheiten im Team.
Schlechte Kommunikation im Unternehmens-Alltag:
Ruth schickt eine kurze Nachricht an das Team: „Bitte denkt an die Projekt-Deadline nächste Woche.“ Julia fragt sich: „Welche Deadline meint sie jetzt genau? Geht es um die Präsentation oder die Marktdaten?“ Anstatt nachzufragen, wartet Julia ab – sicher ist sicher.
Wie psychologische Sicherheit schaffen?
Klarheit schafft Sicherheit. Klare Kommunikation bedeutet, präzise zu sagen, was gemeint ist: „Bitte reicht die Präsentation zum Projekt X bis nächsten Mittwoch bei mir ein.“ Je weniger Raum für Interpretation bleibt, desto sicherer fühlen sich die Teammitglieder.

7. Schuldzuweisungen statt Ursachenanalyse
Wie das aussieht:
Wenn Fehler passieren, wird nach Schuldigen gesucht. Mitarbeitende sichern sich ab, statt ehrlich zu sein.
Schuldzuweisungen im Unternehmens-Alltag:
Eine Kundin beschwert sich über eine verspätete Lieferung. Ruth fragt: „Wer hat das verbockt?“ Julia schweigt, Sebastian schweigt. Alle schauen auf die Tischplatte.
Wie psychologische Sicherheit schaffen?
Weg von der Schuldfrage, hin zur Lösungsfrage: „Was war die Ursache dafür – und wie stellen wir sicher, dass es nicht wieder passiert?“ Ziel ist, den Fokus auf den Prozess zu legen, nicht auf die Person.
Video zur Fehlerkultur
Oliver und Susanne sprechen darüber, wie du eine konstruktive Fehlerkultur und eine starke Vertrauenskultur aufbaust. 22:44 min.
3.3. Von der Angstkultur zur Kultur der psychologischen Sicherheit
Definition Angstkultur
Angstkultur bedeutet, das Mitarbeitende eines Unternehmens lieber Misserfolg vermeiden statt Erfolg anzustreben.
Angstkultur und Motivation
Der US-amerikanische Psychologe John William Atkinson hat in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts dazu geforscht, was Menschen antreibt Leistungen zu erbringen oder eben nicht. Scham und Angst stellten sich als große Verhinderer heraus. Natürlich hat nicht jedes Unternehmen eine ausgewachsene Kultur der Angst, dennoch ist es in jedem Unternehmen wichtig identifizieren zu können, wo Angst im Spiel ist und dieser zu begegnen. Eine Angstkultur im Unternehmen zeigt sich oft subtil, aber ihre Auswirkungen sind massiv. Die Folgen wie Schweigen, Vertuschung, Rückzug haben wir besprochen.
Das Wichtigste ist jedoch:
Hat sich eine Angstkultur erstmal etabliert, dann verschwindet sie nicht von selbst. Sie muss aktiv verändert werden!
Warum einzelne Maßnahmen bei einer Angstkultur nicht reichen
Ein Diversity-Training hier, eine Resilienz-Schulung dort – nett gemeint, aber wirkungslos, wenn die zugrunde liegende Angst-Kultur unverändert bleibt.
Warum? Weil eine Unternehmenskultur nicht durch kleine Einzelmaßnahmen repariert werden kann.
Eine toxische Kultur ist wie eine Färbung, die über die Jahre tief in das Gewebe des Unternehmens eingedrungen ist. Sie zeigt sich in kleinen Gesten und symbolischen Signalen. Das kann die direkt am Haupteingang geparkte Chef-Limousine sein oder Incentives für die Vertriebler, die erfolgreich die internen Konkurrenten weggebissen haben. Solche Signale formen das Verhalten der Mitarbeitenden, denn diese haben ein Auge drauf wie der Hase läuft: Was wird belohnt? Was wird ignoriert? Was wird bestraft? Schließlich will jeder am Arbeitsplatz möglichst gut zurecht kommen.
Insofern ist die Rolle der Führung essentiell: nur wenn die Führung authentisch die gewünschten Werte lebt kann sich eine Unternehmenskultur auch verändern.
Zum Thema Unternehmenskultur und kultureller Wandel haben wir einen umfangreichen Artikel für dich geschrieben: Unternehmenskultur & Kulturwandel: Definition, Beispiele & 11 Schritt Tutorial

Was tun bei Symptomen einer Angstkultur?
Ruth sitzt an ihrem Schreibtisch und überfliegt die Ergebnisse der anonymen Feedback-Umfrage, die sie vor zwei Wochen gestartet hat. Eine Rückmeldung bleibt ihr im Kopf hängen:
„Ich habe oft das Gefühl, dass meine Meinung hier nicht zählt.“ Ruths Stirn legt sich in Falten. „Das hatten wir doch schon! Wir haben doch genau wegen sowas die Feedback-Runden eingeführt und die ganzen anderen Sachen“, grübelt sie. „Warum bringt das denn nicht den gewünschten Effekt?“
Am nächsten Tag trifft sie sich mit ihrem Team, um die Ergebnisse zu besprechen. Sie erwartet konstruktive Vorschläge – aber die Diskussion bleibt oberflächlich. Trotz einiger Verbesserungen in der letzten Zeit wiederholt sich das alte Verhalten: Niemand traut sich, kritisch zu sein. Julia erwähnt vorsichtig, dass „manchmal Entscheidungen einfach so getroffen werden und es dann schwierig ist, das noch zu hinterfragen“. Sebastian schweigt. Ruths Gefühlswelt changiert zwischen genervt, wütend und verzweifelt: „Es schien doch ein wenig voranzugehen, warum können wir denn nicht einfach damit weitermachen?“ Sie muss sich eingestehen, dass hier mehr im Argen liegt, als sie dachte. So einfach lässt sich die ängstliche Haltung nicht in freudige Offenheit verwandeln. Schließlich gab es diese Angstkultur im Unternehmen schon knapp zwei Jahrzehnte lang bevor Ruth überhaupt dazu kam. Sowas ändert sich nicht so schnell.
Ruth realisiert: Kleine Maßnahmen wie Feedback-Runden oder anonyme Umfragen sind gut – aber sie reichen nicht. Nicht in Ruths Unternehmen.
An diesem Punkt entscheidet Ruth, das Thema von Grund auf anzugehen. Sie kontaktiert uns, das berliner team und bittet uns um Unterstützung bei der Entwicklung einer positiven Unternehmenskultur. Für Ruth ist klar: Nicht die Maßnahmen machen den Unterschied, sondern die Haltung dahinter. Und genau daran arbeiten sie und ihr Team jetzt gemeinsam.

3.4. Deine nächsten Schritte hin zu psychologischer Sicherheit
Dass psychologische Sicherheit nicht nur ein Wohlfühlfaktor ist, sondern einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Unternehmen haben viele Studien belegt. Das heißt, egal wo dein Unternehmen in Sachen psychologischer Sicherheit gerade steht – es lohnt sich für dich genau hin zu schauen und aktiv für ein sicheres Umfeld zu sorgen.
Klar – eine Kultur der psychologischen Sicherheit entsteht nicht über Nacht. Aber mit klaren Werten, mutiger Führung und gemeinsamer Arbeit am Miteinander kannst du den Wandel in Gang setzen – Schritt für Schritt. Wir haben dir viele Tipps dazu an die Hand gegeben.
Übung für psychologische Sicherheit
Damit du sofort loslegen kannst geben wir dir zum Abschluss noch eine kleine Übung, die du in deinem Alltag ganz einfach umsetzen kannst.
Finde in den nächsten drei Tagen die Gelegenheit jemandem aufrichtig folgende Sätze zu sagen:
- „Ich weiß es nicht.“ – Gehe offen mit Unsicherheiten um!
- „Ich brauche Hilfe.“ – Hab den Mut, Unterstützung zu erbitten!
- „Ich habe einen Fehler gemacht.“ – Steh dazu, dass stärkt Vertrauen!
- „Es tut mir leid.“ – Sei aufrichtig!
Mit diesen kleinen Handlungen zeigst du, dass du auch nur ein Mensch bist und dass das völlig in Ordnung ist. Das trägt dazu bei ein Umfeld der psychologischen Sicherheit zu schaffen.
Denn die besten Veränderungen beginnen bei dir selbst.
Wenn du Fragen hast, mit uns über psychologische Sicherheit oder Unternehmenskultur sprechen möchtest – dann schreib uns oder ruf an. Wir freuen uns auf dich.

Hallo! Ich bin Christian Grätsch.
Psychologische Sicherheit als Grundlage ist so etwas Wichtiges und so viel umfassender als persönliche Resilienz.
Ich unterstütze dich gerne dabei, die psychologische Sicherheit in deinem Unternehmen zu erweitern.
Lass uns darüber sprechen und einen praktikablen Weg finden.
Weiterführende Lektüre zum Thema psychologische Sicherheit
Du magst noch ein bisschen mehr erfahren? Dann legen wir dir unsere Artikel ans Herz.
Eigene Artikel
Vertrauenskultur – wie Vertrauen dein Unternehmen erfolgreich macht
Fehlerkultur vor Fehlermanagement! Wie dein Unternehmen aus Fehlern lernt
Unternehmenskultur & Kulturwandel: Definition, Beispiele & 11 Schritt Tutorial
Literatur
– Clark, T. R. (2020). Psychologische Sicherheit: Die vier Stufen zu Inklusion und Innovation. Berrett-Koehler Publishers.
– Edmondson, A. (1999). Psychologische Sicherheit und Lernverhalten in Arbeitsteams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350-383.
– Frazier,M. L., Fainshmidt, S., Klinger, R. L., Pezeshkan, A., & Vracheva, V. (2017). Psychologische Sicherheit: Eine meta-analytische Überprüfung und Erweiterung. Personnel Psychology, 70(1), 113-165.
– Google (o.J.). Projekt Aristotle: Das Verständnis von Team-Effektivität. Abgerufen von [https://rework.withgoogle.com/print/guides/5721312655835136/]
– Baer, M.,& Frese, M. (2003). Innovation is not enough: Climates for initiative and psychological safety, process innovations, and firm performance. *Journal of Organizational Behavior*, 24(1), 45-68.
– Willis Tower Watson. (2024). Attraktivere Zusatzleistungen ausschlaggebend für Arbeitgeberwechsel.(https://www.wtwco.com/de-de/news/2024/07/attraktivere-zusatzleistungen-ausschlaggebend-fuer-arbeitgeberwechsel). Abgerufen am 23.11.2024
– Grätsch, C., Grätsch, S., & Grätsch, O. (2024). Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor: Wertebasierte Unternehmenstransformation mit der Value Party. Frankfurt: Frankfurter Allgemeine Buch.

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