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Recruiting: Wie unbewusste Vorurteile unsere Entscheidungen beeinflussen

Inhaltsverzeichnis

Recruiting  und unconcious bias –

Wie unbewusste Vorurteile unsere Entscheidungen beeinflussen

Stellen Sie sich vor, Sie suchen Mitarbeiter für eine Führungsposition. Vor Ihnen liegt ein Stapel Bewerbungen. Sie haben Bewerber und Bewerberinnen, teils mit deutschen Namen, mit türkischen Namen und mit afrikanisch klingenden Namen. Was geht in Ihnen vor? „Nichts“ sagen Sie? – Da bleiben Sie ganz sachlich und objektiv? Ist das wirklich so? Die meisten von uns gehen nämlich davon aus, dass sie objektiv entscheiden. Die Wissenschaft jedoch beweist das Gegenteil.

 

In unserem letzten Artikel haben wir uns damit befasst, wie wir Entscheidungen treffen – und warum es uns leider nicht gelingt, dabei objektiv zu bleiben. Dazu haben wir psychologische Effekte beleuchtet. Dies sind unbewusst laufende Prozesse, die uns Menschen – auch bei bestem Wissen und Gewissen – daran hindern objektiv zu urteilen und rein rational und faktenbezogen zu entscheiden. Leider sind psychologische Effekte nicht die einzigen Abläufe, die sich unserer Kenntnis entziehen und uns in Sachen Objektivität einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen.

 

„Unconscious bias“ – unbewusste Vorurteile

Zu all den bereits erwähnten Verhaltensmechanismen gesellen sich noch Vorurteile und Stereotype hinzu. Auch wenn wir das nicht wahrhaben möchten: Selbst wenn wir von uns denken, dass wir eher zur rationalen Sorte Mensch gehören und mit Diskriminierung nichts am Hut haben, so belegt die Wissenschaft in zahllosen Studien, dass es unbewusste Vorurteile gibt, und schlimmer noch – dass jeder von uns solche Vorurteile hat. Jeder. Aber wie kommt das?

 

Wie Vorurteile entstehen – unser Gehirn

Unser Gehirn muss jeden Moment unendlich viele Informationen verarbeiten. Um effektiver arbeiten zu können, sucht es nach Mustern. Es fasst sämtliche Erlebnisse und Eindrücke zusammen, die wir je erlebt haben, damit es sich an diesen Mustern orientieren kann. All dies geschieht ohne unser Wissen! Wir glauben tatsächlich felsenfest, dass wir selbst keine Vorurteile haben, obwohl neurologisch bewiesen ist: Unser Gehirn arbeitet genau damit – mit Vorurteilen. Natürlich möchten die meisten weder bewusst noch unbewusst intolerant sein oder gar jemanden diskriminieren und so ist nicht verwunderlich, dass wir unsere Vorurteile vor uns selbst geheimgehalten.

 

Kristen Pressner erläutert die Zusammenhänge ganz wunderbar in ihrem TED- Vortrag in englischer Sprache:
 

 

„Bewerbungsgespräche gibt es in 10 Jahren nicht mehr“…

…titelt ein Stern-Interview mit Harvard Professorin Iris Bohnet, ebenfalls tätig als Verwaltungsräten der Credit Suisse Group. Die Verhaltensökonomin befasst sich in ihrem viel beachteten Buch „What Works – Gender Equality by Design“ damit, wie unbewusste Vorurteile und deren Auswirkungen verringert werden können.
So begrüßt sie zum Beispiel, dass in den USA anonymisierte Bewerbungen bereits Standard sind. Und sie geht noch weiter: Name, Adresse, Geschlecht, ja sogar die besuchten Universitäten lässt sie vor Begutachtung von CVs herausstreichen, um sich davon nicht ablenken zu lassen, sondern sich auf die Leistungen der Bewerber zu konzentrieren.
Bohnet im Stern-Interview: „Es ist doch erstaunlich: In unseren Finanz- und sogar auch in unseren Marketingabteilungen wird alles analysiert und mit Big Data abgesichert. Nur wenn es um unsere wichtigste Ressource, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, geht, dann verhalten wir uns wie vor hundert Jahren und fallen unentwegt auf unsere oft unbewussten Vorurteile herein.“
Sie empfiehlt, den Bewerbern Arbeitsproben abzuverlangen, so dass die Leistung des Kandidaten für sich sprechen könne. Sie bezieht sich auf eine Studie zur Chancengleichheit: In den 1970ern gingen einige US-amerikanische Orchester dazu über, sich bewerbende Musiker und Musikerinnen hinter Vorhängen spielen zu lassen, was den Frauenanteil von 5 % auf knapp 40 % steigen liess. In Orchestern bei denen nicht ausschliesslich nach musikalischer Leistung gecastet wird, spielen nach wie vor 88 – 90 % Männer. Beispiele hierfür sind die Berliner und den Wiener Philharmoniker.

 

Unbewusste Vorurteile führen oft zu Diskriminierung

 

Studien zu unbewussten Vorurteilen

Auch wenn Personalverantwortliche der Auffassung sind, Vorurteile zu durchschauen und ihnen nicht aufzusitzen, so sprechen die Zahlen eine ganz andere, deutliche Sprache:
Eine Studie des deutschen Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen für Integration und Migration ergab, dass Bewerber mit deutschen Namen gegenüber Bewerbern mit türkischen Namen bei identischem Bewerbungsschreiben bevorzugt wurden. Bei Bewerbungen auf eine Stelle als Kfz-Mechatroniker wurden Bewerber mit Türkisch klingenden Namen erst nach sieben Bewerbungen zum Interview eingeladen, wohingegen die Erfolgsquote bei Deutsch klingenden Namen bei 4 Bewerbungen bis zur Einladung lagen. Dass fremdländisch klingende Namen Bewerbungen trotz gleicher Qualifikation schlechter abschneiden lassen, deckt sich mit Werten aus einer britischen Studie: Es wurden 3000 identische Bewerbungen abgeschickt, jeweils 1000 mit kaukasischem, asiatischem, afrikanischem Namen. Die Bewerber mit dem typisch weiß klingenden Namen wurden wurden im Schnitt nach 9 Bewerbungen eingeladen, die anderen beiden Bewerbergruppen mußten sich 16 mal bewerben, um eingeladen zu werden.

 

Ein unterhaltsames Erklär-Video zum unconcious bias in englischer Sprache.

 

Der Implicit Asscociation Test (IAT)

Die Forscher Greenwald, McGhee und Schwartz entwickelten 1998 an der Harvard University einen Test mit dem sie den Unconcious Bias messen können – den Impliziten Assoziationstest (IAT). Gemessen wird die Reaktionszeit auf einen bestimmten Reiz. Am Computer werden auf einen Reiz – also ein Wort oder ein Bild – zwei Antwortmöglichkeiten gegeben. Die Theorie zum Test besagt, dass wenn man starke Assoziationen zu einer Sache hat, man auch schneller auf eine Taste mit dieser Assoziation klicken kann, als auf eine Taste mit gegenteiligem Inhalt.

 

Wollen Sie es selbst einmal probieren? Die Universität Harvard stellt den Test gleich mehrfach in deutscher Sprache zur Verfügung; es geht zum Beispiel um Geschlecht und Karriere, Ethnie, Ossis und Wessis, Gewicht usw. Hier können Sie Ihre unbewussten Vorurteile erforschen

 

Chancengleichheit versus Unconcious Bias – die Initiative Chefsache

Führungskräfte aus Unternehmen wie Bosch, Allianz, Siemens, Mc Kinsey haben sich in der Initiative Chefsache zusammen getan. Hier geht es darum dem Unconscious Bias etwas entgegen zu setzen, um für Chancengleichheit zu sorgen, denn kein Unternehmen kann es sich leisten, sich Talente entgehen zu lassen. Um zu demonstrieren, dass jeder seinen eigenen Vorurteilen aufsitzen kann, erzählen Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer, CHROs von Momenten, in denen sie ihrem Unconscious Bias begegnet sind.

Hier Bayer Personalchef Hartmut Klusik als Beispiel:

 

 

Und jetzt? Was tun? Wie umgehen mit unbewussten Vorurteilen?

Zusammenfassend lässt sich sagen:
Jeder von uns hat Vorurteile. So ist unser Denken angelegt.
Da unsere Vorurteile im Verborgenen agieren, wäre es nicht klug, wenn wir sie pauschal leugnen und den Blick von ihnen abwenden, denn dann haben sie erst recht freie Fahrt. Wollen wir für Chancengleichheit sorgen, dann sollten wir unseren eigenen Vorurteilen begegnen, in dem wir zunächst akzeptieren, dass wir Vorurteile haben. – Und im nächsten Schritt sollten wir unser Denken und Handeln immer wieder hinterfragen.
Wo wir schon dabei sind: Was war eigentlich einer Ihrer Bias-Momente?

 

Weiterführende Artikel auf unserer Seite:

  1. Lean Recruiting – eine Software die Objektivität beim Recruiting durch den Fokus auf die Kompetenzen eines Bewerbers garantiert.
  2. Recruiting Fehler – Warum Recruiter Fehlentscheidungen treffen und was dagegen hilft
  3. Recruiting: Wie wir den perfekten Mitarbeiter gefunden haben.
  4. Recruiting-Tools: Wie Sie das passende Werkzeug finden
  5. Das beste Recruiting-Tool: Lean Recruiting – und wie es funktioniert.

 

Links und Quellen:

Unbewusste Vorurteile, Recruiting, Entscheidungsfindung, Unconcious Bias – das alles sind interessante Themen über die Sie vielleicht mehr erfahren wollen.
Wir haben Ihnen hier eine Liste relevanter Artikel zusammengestellt.

 

  • Iris Bonet talks at google. Ein Video von ca 55 min in englischer Sprache

 

Hier einige Literaturempfehlungen:

  • Rosabeth Moss Kanter (1977): Men and Women of the Corporation.
  • Iris Bohnet, „What Works – Gender Equality by Design“, das auf verschiedenen „Best Book Shortlists“ steht, zum Beispiel der Financial Times. Es erscheint im Herbst 2017 bei C.H. Beck auf Deutsch und soll in mehrere weitere Sprachen übersetzt werden.

Die Autorinnen

berliner team - Kassandra Knebel
Kassandra Knebel
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Susanne Grätsch
Berliner Team