Was sind Wertesysteme? Wofür braucht man die? Was ist das Graves Value System GVS?
Egal, ob im Unternehmen oder zuhause: Was den einen glücklich macht, regt den anderen auf: Michaela konzentriert sich auf das Anhäufen von Geld und Gut, doch Björn ist das alles nichts wert; er sieht den Sinn des Lebens darin, anderen zu helfen. Beide stecken viel Energie in die Umsetzung ihrer Träume. Doch das Treiben des jeweils anderen beäugen sie kritisch. Schnell wird Michaela als “habgierige Kapitalistin” tituliert und Björn als “realitätsferner Gutmensch”. Welten prallen aufeinander. Konflikte entstehen. Warum ist das so? Was motiviert Menschen? Was ist ihnen wirklich wichtig?
Gleich vorneweg: es gibt nicht die eine Sache oder Art und Weise, die für alle die Richtige wäre. One fits all existiert nicht: Michaela würde als Sozialarbeiterin der Welt keinen Dienst leisten und Björn als CFO im grauen Anzug würde verzweifeln und auch andere in Wahnsinn und Ruin treiben. Menschen, die gegen ihre Werte arbeiten müssen sind Gegenstand vieler Komödien. Oder aber Tragödien.
Verschiedene Menschen haben verschiedene Wertesysteme. Und das ist auch gut so. Ein solches Wertesystem ist zum einen persönlich begründet, wurzelt aber auch in der Kultur, in der ein Mensch aufwächst und lebt.
Michaela ist als ältestes von 3 Geschwistern in einem bürgerlichen Haushalt groß geworden. Sie war immer fasziniert von den Möglichkeiten die sich eröffnen, wenn man Geld hat. Ihr Traum: ein Haus mit Pool, gesellschaftliches Ansehen, Urlaube in Luxus Ressorts und dass ihre Eltern stolz sind auf ihre Leistungen.
Björn dahingegen ist Einzelkind einer alleinerziehenden Mutter. In dem Stadtbezirk in dem er groß geworden ist hat gesehen, dass es schwierige Lebenssituationen gibt. Er weiß, dass nicht jeder gute Chancen hat. Er will helfen das zu verbessern
Wenn du Menschen verstehen willst, dann schau dir ihre Werte an! So weißt du, was sie antreibt und gewinnst tiefere Einsichten in die Entstehung von Konflikten, aber auch in Entwicklungs-Möglichkeiten. Hierbei ist das Graves-Value-System (GVS) ein mächtiges Werkzeug.
Im vorhergehenden Artikel zum Thema Wertemanagement haben wir detailliert darüber gesprochen, was genau Werte sind und dass sie unsere treibende Kraft darstellen. Wir haben uns damit beschäftigt, wieso es im Unternehmenskontext wichtig ist, die Werte der Mitarbeiter*innen zu respektieren und sie in die Führung mit einzubeziehen. In diesem Artikel wollen wir den Werten als solchen auf den Grund gehen. Wir stellen das Wertesystem nach Graves vor. Mit Hilfe dieses Wertesystems lassen sich die Werte, die einen Menschen motivieren bis hin zu den Werten, die ganzen Kulturen zugrunde liegen, abbilden.
Der Begriff Wertesystem beschreibt die Summe der Werte, Haltungen, Moralvorstellungen, die der Ethik einer Person, Gruppe oder Gesellschaft zugrunde liegen.
Es gibt viele Werte. Durch die Kombination von mehreren Werten ergibt sich ein Wertesystem. Hier ein Beispiel:
Familie ist ein Wert. Verlässlichkeit, Sicherheit, Beständigkeit, Heimat, Disziplin, Pflichtbewusstsein sind weitere. Zusammen ergeben sie ein konservatives Weltbild bzw Wertesystem.
Kombiniert man wiederum den Wert Familie mit Freiheit, Diversität, Gleichberechtigung, Offenheit, Dialog ergibt sich ein wesentlich moderneres Wertesystem.
Das Graves-Value-System (GVS) ist ein psychologisch-soziologisches Modell und wurde vom Psychologieprofessor Clare W. Graves (1914-1986) ins Leben gerufen. Don Beck und Chris Cowan entwickelten dieses Modell weiter. Es wurde erstmals 1996 im Buch „Spiral Dynamics“ veröffentlicht und branded oft auch unter diesem Namen.
Immer wieder wurden Professor Graves von seinen Studierenden die gleichen Fragen gestellt: Ob er erklären könne,
Angetrieben durch diese Fragestellungen untersuchte Professor Graves, nach welchen Mustern und Regelmäßigkeiten Entwicklungen von Personen und Gruppen stattfinden.
In einer seiner Studien stellte Clare W. Graves seinen Versuchspersonen die Frage: „Wie definierst du eine gesunde Person?”
Graves ging davon aus, dass Menschen eine „gesunde Person” so beschreiben, wie sie das höchste Level ihrer eigenen persönlichen Entwicklung definieren. – Das heißt die bestmögliche Person, die sie nach ihren Maßstäben sein können.
Die Frage stellte er denselben Versuchspersonen wiederholt über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Oftmals gaben die Befragten über Jahre hinweg durchgehend immer wieder dieselbe Antwort. Jedoch gab es auch Versuchspersonen, deren Beschreibung einer gesunden Personen sich mit den Jahren deutlich veränderte. Er verglich die Veränderungen bei verschiedenen Versuchspersonen und stellte fest, dass alle Versuchspersonen sich nach dem gleichen Muster veränderten.
Zudem fiel Graves auf, dass diese Entwicklungszyklen nicht nur in der persönlichen Entwicklung, also in einer Mikro-Perspektive stattfinden, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene, der Makro-Perspektive. Letzteres bedeutet, dass er aufgrund der von ihm entdeckten Entwicklungsmuster treffsicher voraus sagen konnte, wie sich eine Kultur entwickeln würde:
Betrachtet man die am höchsten entwickelten Individuen einer Gesellschaft, dann gibt dies Aufschluss darüber, in welche Richtung die Gesellschaft sich verändern wird. Denn Individuen spiegeln die Wertvorstellungen einer Gesellschaft und eine Gesellschaft spiegelt die Werte der Individuen, die in ihr leben.
Das Graves-Value-System gibt einen hervorragenden Überblick darüber, was Menschen motiviert, wie sie denken, wie sie Dinge beurteilen, was für sie Bedeutung hat. Graves entdeckte Wertesysteme, die aus Glaubenssätzen über die Welt, Grundhaltungen und Werten bestehen. Er nannte diese Meme.
Meme sind sich selbst verbreitende Ideen, Gebräuche oder Kulturpraktiken.
In den letzten 100.000 Jahren hat sich ein Mem nach dem anderen entwickelt. Das heißt zu unterschiedlichen Zeiten waren den Menschen unterschiedliche Sachen wichtig.
Zum Beispiel gab es Zeiten, in denen Stärke und Dominanz zentrale Werte waren: In einer Welt voller Lebensgefahr ist man gut beraten der/die Stärkere oder Dominantere zu sein.
Es folgten Zeiten, in denen es wichtig wurde, sich in ein gesellschaftliches System mit Regeln einzuordnen: wurde man aus der Gesellschaft ausgeschlossen, so konnte das fatale Folgen haben.
Verändert sich die Umwelt, so verändern sich auch die Werte der Menschen. Denn mit zunehmender Komplexität der Umweltbedingungen braucht es komplexere Wertesysteme, um als Mensch oder Gruppe zu bestehen. Ähnlich dem Aufbau einer Zwiebel bleiben die bisherigen Meme im Inneren eines Menschen wie Schichten bestehen. Die verschiedenen Meme sind in jedem Menschen, jeder Organisation oder Gesellschaft unterschiedlich stark ausgeprägt, so dass sich daraus jeweils ein ganz eigenes Werteprofil ergibt. Eine solche Werte-Landschaft lässt sich mithilfe eines Werteprofils ermitteln. Diese Methode stellen wir im vierten Teil unserer Artikel Serie zum Thema Werte vor.
Im Graves-Value-System/Spiral Dynamics gibt es bisher acht Wertesysteme:
1. Mem BEIGE / SICHERHEIT & ÜBERLEBEN
Instinktives / Überlebens-Mem, Beginn vor 100.000 Jahren, mittlere Altsteinzeit
2. Mem LILA / IDENTIFIKATION: WIR ODER DIE ANDEREN
Magisches / Animistisches Mem, Beginn vor 50.000 Jahren
3. Mem ROT / KRAFT, MACHT und ENERGIE
Impulsives / Egozentrisches Mem, Beginn vor 10.000 Jahren
4. Mem BLAU / ORDNUNG
Zielbewusstes / Autoritäres Mem, Beginn vor 5000 Jahren
5. Mem ORANGE / LEISTUNG und ERFOLG
Erfolgreiches / Strategisches Mem, Beginn vor 300 Jahren
6. Mem GRÜN / GEMEINSCHAFT
Gemeinschaftliches / Egalitäres Mem , Beginn vor 150 Jahren
7. Mem GELB / SYNERGIE
Integratives Mem, Beginn vor 50 Jahren
8. Mem TÜRKIS / NACHHALTIGKEIT/ GANZHEIT
Holistisches Mem, Beginn vor 30 Jahren
In unserem Artikel Das Spiral Dynamics Wertemodell: Was Menschen wirklich wichtig ist 2/2 haben wir jedes Wertesystem genau erklärt.
Graves bewertete die einzelnen Meme nicht. Nur weil ein Wertesystem das Neuere ist, ist es nicht zwangsläufig besser als die vorausgehenden. Die Entwicklungsstufe einer Kultur, eines Unternehmens oder eines Individuums ist per se weder gut noch schlecht.
Um die Qualität einer Entwicklungsstufe zu beurteilen, sollte man vielmehr betrachten, ob sie der Person oder dem Unternehmen hilft, sich an die bestehenden Umwelt-Gegebenheiten anzupassen. Denn: Das beste Wertesystem ist das, das mit den jeweiligen Lebens-Umständen am besten zurechtkommt.
Wir alle gehen durch verschiedene Entwicklungsstufen, wenn wir heranwachsen und reifer werden. Meist unterscheiden sich die Werte, die wir als Teenager hatten von unseren Werten als Erwachsene*r. Gottseidank! Leider ist es so, dass Menschen in verschiedenen Entwicklungsstadien häufig nicht besonders gut miteinander kommunizieren können. So kann eine Person in einer fortgeschrittenen Entwicklungsstufe Dinge thematisieren wollen, die eine Person in einer früheren Entwicklungsstufe gar nicht wahrnehmen kann
Björn, dessen Werte hauptsächlich im grünen, gemeinschaftlich orientierten Bereich liegen, betreut seinen Klienten Mike, einen jungen Kleinkriminellen, dessen werte eher im roten, egozentrischen Mem anzusiedeln sind. Björn redet von Fairness und Rücksicht. Für Mike ist es wichtig, sich in seinem Umfeld durchzusetzen.
Die beiden widersprechen sich nicht zwangsläufig, sie führen einfach nicht die selbe Konversation – bemerken dies aber meist nicht. Hier sind Missverständnisse bis hin zu Konflikten vorprogrammiert.
Interessanterweise werden Individuen in komplexeren Entwicklungsstufen von Menschen, in weniger komplexen Entwicklungsstufen, häufig als rückständig betrachtet. Ein gutes Beispiel ist Michaela: als Teenager hielt sie ihre Eltern für spießig und völlig unwissend. Seit sie sich aus der Pubertät heraus entwickelt und selbst Kinder hat, versteht sie, welches Wissen und welche Fähigkeiten die Eltern die ganze Zeit gehabt haben. Ein Teenager kann dies aber erst erkennen, wenn er sich dahin entwickelt hat.
In Gruppen ist es häufig so, dass Einzelne, die sich zu einer komplexeren Entwicklungsstufe entwickelt haben, ausgegrenzt werden. Der Fortschritt wird von den Gruppenmitgliedern meist nicht als Fortschritt wahrgenommen, sondern als “seltsam” empfunden.
So wurden zum Beispiel die ersten LGBTQ+-Aktiven als schräge Vögel wahrgenommen, mittlerweile jedoch ist es völlig normal sich mit dem Thema zu befassen: Die Gesellschaft und ihre Werte haben sich weiterentwickelt.
An dieser Stelle sei nochmals betont, dass ein komplexeres Wertesystem beziehungsweise ein “Fortschritt” nicht besser ist als vorausgehende Wertesysteme. Es ist entweder passend oder nicht passend zu den aktuellen Gegebenheiten. Denn: ändert sich die Umwelt – zum Beispiel bei einer Restrukturierung – dann kann es durchaus angebracht sein, in ein altes Wertesystem zurück zu kehren. Würde man dies nicht tun, so liefe man Gefahr auf der Strecke zu bleiben.
Müsste Björn aus irgendeinem Grund – Gefängnis, Schiffbruch, Krieg, Zombie-Apokalypse – sein Überleben durch Stärke sichern, so wäre er mit den Gesprächsangeboten, die er normalerweise nutzt um Konflikte zu lösen, schlecht beraten.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Dies macht das Graves-Modell so wertvoll: denn wenn wir wissen, wohin die Dinge sich entwickeln werden, erhöht sich unser Potential zu planen und zu führen deutlich. Deshalb wird das Graves Values System Model (GVS) in der Beratung, Organisationsentwicklung, im Change-Management und in der Politik erfolgreich eingesetzt. Es bietet nicht nur Unternehmen die Möglichkeit einer Analyse der kulturellen Entwicklung. Das Graves Modell wird auch in Konfliktregionen eingesetzt. So nutzten zum Beispiel Nelson Mandela, Bill Clinton, Tony Blair die Graves- Theorie, um mit ihrer Hilfe politische Entscheidungen zu treffen.
Ein Video, das erklärt, was du mit den Erkenntnissen zu den Werten in deinem Unternehmen anfangen kannst:
Werte sind die Grundlage für das Denken und Handeln von Menschen und somit auch von Unternehmen. Das Thema begeistert uns, deswegen arbeiten wir viel damit. Wir haben eine ganze Artikel- Reihe zum Thema Werte geschrieben, weil es dazu viele Aspekte gibt. Für alle, die genauso Werte-begeistert sind wie wir – hier eine kleine Übersicht:
Wir schauen uns Werte an und warum es wichtig ist, im Unternehmen damit zu arbeiten bzw Wertemanagement zu betreiben.
Wir erörtern Wertesysteme und deren wissenschaftlichen Hintergrund.
Wir gehen auf die einzelnen Wertesysteme des Graves Value Systems/ Spiral Dynamics ein: Was beinhalten sie? Was ist innerhalb eines Wertesystems wichtig?
In diesem Artikel besprechen wir, wie du in deinem Unternehmen ein Werteprofil erstellen kannst, um zu ermitteln welche Werte, welche Unternehmenskultur vorliegt und in welche Richtung dein Unternehmen sich entwickeln sollte.
In unserem fünften und längsten Artikel beschreiben wir einen kompletten Wertewandel. Hier erfährst du, welche Probleme vor dem Wertewandel vorlagen, welche Werte im Spiel waren, mit welchen Mitteln das Unternehmen gegengesteuert hat und schließlich, wie diese Interventionen in den Unterehmens-Alltag integriert wurden.
Don Beck und Christopher Cowan: Spiral Dynamics: Mastering Values, Leadership, and Change, 1996 (deutsch: Spiral Dynamics – Leadership, Werte und Wandel. ISBN 978-3-89901-107-4)
Möchtest du mit den Werten deiner Organisation arbeiten oder interessierst dich für das Wertesystem nach Graves? Sprich uns an!
Hilft anderen gern über die Schwelle – in agilen Transformationen und anderen Change-Prozessen
Susanne Grätsch weiß aus eigener Erfahrung, dass man an Veränderungen wächst. Seit 1999 ist sie im Mittelstand und für internationale Konzerne unterwegs. Anfangs lag ihr Schwerpunkt noch in Führungskräfteentwicklung und Coaching. Inzwischen sucht und findet sie ihre Herausforderungen in groß angelegten Change-Projekten, die sie begleitet. Sie unterstützt Unternehmen z. B. bei der Veränderung hin zu einem agilen Unternehmen im Rahmen der digitalen Transformation, bei der Überwindung von Wachstumsschwellen oder bei der Etablierung einer attraktiven, motivierenden Unternehmenskultur, die Voraussetzung für die Gewinnung neuer Mitarbeiter als attraktiver Arbeitgeber ist. Als NLP-Master-Practitioner, zertifizierte UXQB-Beraterin (für Usability und User Experience) sowie Consultant in der hypno-systemischen Organisationsberatung kann sie sich schnell in neue Fachgebiete einfuchsen und fühlt sich in der Automobilindustrie ebenso zu Hause wie in der IT-Branche oder der Immobilienwirtschaft. Ihre größte private Herausforderung ist es, beruflichen Erfolg mit einem erfüllten Familienleben zu verbinden. Allerdings ist sie damit nicht allein, sondern kann auf die tatkräftige Unterstützung ihres Mannes, Oliver Grätsch, zählen.
Macht gern Theater – auch als Trainerin in Unternehmen
Seit 15 Jahren macht Kassandra Knebel Unternehmenstheater. Ob Datev, Bombardier, Sparkasse oder Lions-Club – sie bringt Menschen dazu, ihre gewohnten Bahnen zu verlassen, neues Terrain zu erkunden und kreativ zu sein. In ihren Workshops geht es darum, Informationen in Handlung, Text und Spiel umzusetzen, sich und andere dabei zu beobachten und die Hintergründe zu erforschen und zu verstehen. Sie unterstützt Menschen dabei, Gefühl und Verstand zu synchronisieren, sich mit anderen auszutauschen und dadurch im Team enger zusammenzuwachsen. Außerdem schult sie Führungskräfte in überzeugendem Auftreten. Das Theaterspiel, bei dem die Körpersprache eine große Rolle spielt, macht Motivationen menschlichen Handelns ebenso sichtbar wie psychologische Muster. Es ist eine Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren und auch Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Dabei darf gern viel gelacht werden, denn Rumalbern befreit – eine gute Ausgangslage, um Dinge anders anzugehen.